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134 | Dinge – Nutzer – Netze
Erinnerung der Verdinglichung für ihr eigenes Erinnern bedarf [...], würde das lebendig Ge-
handelte, das gesprochene Wort, der gedachte Gedanke spurlos verschwinden, sobald der Akt
des Handeln, Sprechens oder Denkens an sein Ende gekommen ist; es würde sein, als hätte es
sie nie gegeben. Die verwandelnde Vergegenständlichung ist der Preis, den das Lebendige
zahlt, um nur überhaupt in der Welt bleiben zu dürfen; und der Preis ist sehr hoch, da immer
ein »toter Buchstabe« an die Stelle dessen tritt, was einen flüchtigen Augenblick lang ein »le-
bendiger Geist« war. (Ebd.: 113f.)
Die Medialität ist demnach die Tochter der Materialität und das Medium immer eine
Form von Ding − genauso, wie ja auch alle von Menschen geschaffenen Dinge ir-
gendwo immer Medien sind, die eine kulturelle Bedeutung in sich tragen, auch wenn
diese Funktionalität nicht immer ihre wichtigste ist. Dinge, die vorrangig medialen
Charakter haben (und damit eben auch Kunstwerke und andere Museumsdinge), zäh-
len im arendtschen Duktus dementsprechend zu den Gebrauchsgütern. Natürlich sind
auch diese Objekte zeitlichen Veränderungen und dem Verfall unterworfen − aber
das Schicksal des Verzehrtwerdens ist den Gebrauchsgegenständen Tisch, Buch oder
Gemälde nicht auf dieselbe Art eingeschrieben wie den Verbrauchsgegenständen
Brot, Wein oder Toilettenpapier. Die Dauerhaftigkeit von Gebrauchsgütern muss
keine ewigwährende sein, geht aber meist doch deutlich über die individuelle
menschliche Lebenszeit hinaus. In dieser Fähigkeit, uns zu überleben, erhalten diese
Dinge eine gewisse »Unabhängigkeit« (ebd.: 161) von den Menschen: Sie existieren
zwar, weil wir sie zu irgendeinem Zeitpunkt einmal hergestellt haben, aber nach die-
ser Herstellung benötigen sie uns nicht mehr, um in der Welt aktualisiert zu sein. Aus
diesem Grunde »stabilisieren« die Dinge nach Arendt unser Leben (ebd.: 162). Wäh-
rend wir Subjekte uns sowohl körperlich als auch in unseren kulturell erlernten Ver-
haltensweisen laufend ändern, begegnen uns die Objekte mit scheinbar völlig stabilen
Identitäten (vgl. ebd.). Zugleich bestimmt das materielle Produkt einer Herstellungs-
tätigkeit schon vor seiner Fertigstellung den Prozess der produktiven Arbeit, indem
es ihm einen Endpunkt setzt: Das Herstellen endet immer im fertigen Ding, das ab-
geschlossen bleibt, auch wenn der Arbeitsprozess zur Herstellung identischer Dinge
wiederholt wird (vgl. ebd.: 169f.).
In fast allen diesen von Hannah Arendt beschriebenen Aspekten kultureller Ver-
stetigung durch Materialisierung und Verdinglichung unterscheiden sich digital-vir-
tuelle Objekte von materiellen. Zwar steht auch hinter jeder Bilddatei und jedem si-
mulierten Ding im Computerspiel eine bestimmte Materialität − in Form der Daten-
träger, des Rechners selbst, des Bildschirms, usw. − aber das, was sich auf der Inter-
faceebene als ein abgeschlossenes Objekt präsentiert, ist eben in seiner Existenz auf
die Dauer seiner Aktualisierung beschränkt. Der Computer kann arbeiten, ist aber aus
sich heraus zum ›Herstellen‹ unfähig − er kann Virtualitäten in Form von Program-
men und Dateien speichern, seine Aktualitäten lassen sich allerdings äußerstenfalls
über Peripheriegeräte wie z.B. einen Drucker verstetigen. Darüber hinaus haben die
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien