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138 | Dinge – Nutzer – Netze
Das digitale Objekt ›Arztbesuch‹ entsteht hier also nicht etwa aus den an Menschen
gerichteten Daten auf der Webseite des Krankenhauses, sondern vielmehr aus Meta-
Daten, die diese zum Abruf durch Softwareagenten konnotieren und indexieren. Es
genügt zur Erzeugung digitaler Objekte nicht, einfach Attribute zusammenzuführen
− vielmehr müssen diese Attribute nochmals mit weiteren Attributen versehen wer-
den, die ihrerseits einem digitalen System zu verstehen geben, wie mit den Daten zu
verfahren ist. In Huis Beispiel vom Stuhl − und natürlich ließe sich hier auch jedes
andere Objekt einfügen − bleiben wir komplett auf der Ebene des Kulturellen, auf
welcher wir mit zwei Datenschichten umzugehen haben: Nämlich erstens jener des
Stuhls als Datum, also einem gegebenen Ding, das uns im Raum gegenübertritt, und
zweitens jener seiner Beschreibung als einer Ansammlung von Metadaten, die ge-
wissermaßen das kulturell etablierte Konzept ›Stuhl‹ abbilden, anhand dessen wir uns
zum materiellen Gegenstand verhalten können. Ein Stuhl hat vier Beine, ist aus Holz,
hat eine Lehne, man sitzt darauf, usw. Im Semantic Web nach Berners-Lee et. al.
entfällt das eigentliche Datum, bzw. verschmilzt es mit seinen Metadaten: Der ›digi-
tale Stuhl‹ wäre nunmehr nur eine Ansammlung von Attributen, die zusammenge-
nommen das kulturelle Objekt ›Stuhl‹ entstehen lassen. Die ursprünglichen Metada-
ten verlieren ihren Charakter als solche und werden ersetzt von einer zweiten Schicht
von Metadaten, die sich nunmehr an den Computer selbst richtet und diesem mitteilt,
wie genau die Einzeldaten aufeinander zu beziehen sind.
Hui bezeichnet digitale Objekte aus diesem Grunde als »indexierte Relationen«
(Hui 2013: 105) innerhalb einer Ansammlung von Daten, die einerseits vom Compu-
ter funktional ›verstehbar‹ sein müssen, um überhaupt auf Softwarebasis produziert
werden zu können, andererseits aber in ihrer rein formalen Funktionalität an die kul-
turelle Erfahrungswelt des Users zurückgekoppelt werden müssen. Im Vollzug dieses
doppelten Interfacings, bei dem Mensch und Maschine einander paradoxerweise zu
verstehen imstande sind, obwohl sie eigentlich völlig aneinander vorbeikommunizie-
ren, kommen erfahrbare Objekte Hui zufolge auf eine ganz andere Art zustande, als
dies in Abwesenheit digitaler Medien der Fall wäre. Um sie ontologisch greifbar zu
machen, schlägt er vor, drei Mechanismen ihrer Entstehung in den Blick zu nehmen:
zum Ersten den induktiven, den er aus David Humes Überlegungen zum Induktions-
problem ableitet, zum Zweiten den deduktiven, den er vor allem aus dem Schematis-
mus Immanuel Kants heraus beschreibt, und schließlich den Transduktiven, bei dem
sich Hui vor allem an Theorien Gilbert Simondons anlehnt.
Auf der Induktionsebene beschreibt Hui die Entstehung digitaler Objekte als das
Ergebnis bestimmter ›Erfahrungswerte‹, und zwar sowohl auf Seiten des Nutzers wie
auch der Maschine. Die Induktion (die ja im Zusammenhang mit Charles Peirces
Abduktionsbegriff und Umberto Ecos Bohnen-Beispiel im zweiten Kapitel dieser
Studie kurz angerissen wurde) beschreibt eine empirische Erkenntnisproduktion, in
welcher die Regel aus der Beobachtung abgeleitet wird. David Hume hat die Induk-
tion 1738 in A Treatise of Human Nature als ungeeignet dazu identifiziert, finale
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien