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›Virtuelle Museen‹: Medienwechsel und Kontinuität | 143
in der äußeren Welt Bestand haben und damit eine materielle Qualität aufweisen (vgl.
ebd.). Zwischen diesen sowohl für den Menschen als auch für den Computer eindeu-
tig existierenden Entitäten lassen sich dann mittels Ontologien Beziehungen etablie-
ren, die ebenfalls sowohl für den Rechner als auch für den menschlichen Rezipienten
existent sind − allerdings in sehr verschiedener Form und mit sehr verschiedenem
Bedeutungsinhalt. Nach Hui liefern die Identitätsmerkmale digitaler Objekte keine
»transzendentalen Bedingungen, die einen Rahmen bilden, durch den sich Daten be-
grifflich subsumieren lassen« (ebd.) − und dementsprechend erschöpfe sich ihre Be-
deutung nicht darin, Funktionselement von Ontologien (also deduktiven Systemen,
die einen Gegenstand top-down aus vorgefassten Begriffen erzeugen) oder Folkso-
nomien (induktiven Systemen, in denen die Identität bestehender Gegenstände bot-
tom-up durch Kategorisierung oder tagging gefestigt wird) zu sein. Vielmehr müss-
ten wir sie, wie die Kristallkeime, als »Quellen von Beziehungen« (ebd.: 113) ver-
stehen, zwischen denen Netzwerke entstehen können. Die Entstehung digitaler Ob-
jekte ist dann weder rein induktiv-empirisch noch rein deduktiv-transzendental zu
begreifen, vielmehr erscheinen Induktion und Deduktion als funktionale Komponen-
ten, die auf derselben Stufe der Objekterkenntnis wirksam werden: namentlich jener
der Herstellung vom Beziehungen von Objektattributen untereinander (vgl. ebd.). Di-
gitale Objekte entstehen unter dem Einfluss deduktiver Vorannahmen darüber, wie
sie beschaffen sein könnten und sollten, zugleich aber auch aus der induktiven Be-
obachtung von Nichtvergleichbarkeiten zwischen Schema und Anschauung. Auch
hier ähnelt nach Hui die kognitiv-technische Entstehung digitaler Objekte jener von
Kristallen in einer Nährlösung. Genau wie Kristalle immer nur aus einer Verschie-
denheit zwischen ihrer Substanz (dem Feststoff) und ihrem Milieu (der Flüssigkeit)
heraus entstehen können, so können auch digitale Objekte nur dort entstehen, wo
neben Phänomenen, die deren jeweilige Identitätsbedingungen erfüllen, auch solche
auftreten, die dem jeweiligen Objekt nicht entsprechen und somit seine ›Umwelt‹
konstituieren (die ihrerseits eben sowohl aus anderen Objekten, als auch aus ›Zwi-
schenraum‹ bestehen kann) (vgl. ebd.). Insofern greift also auch hier wieder die raum-
theoretische Feststellung Scheers, das ›Ding‹ und ›Raum‹ nur in Relation zueinander
denkbar sind. Objektwahrnehmung bedeutet, Unvereinbarkeiten bzw. »Inkompatibi-
lität« (ebd.) wahrzunehmen.
Hui beschreibt die Entstehung diskreter Objekte also auf drei Ebenen: Induktiv
erkennen wir ihr Vorhandensein aus der wiederholten Beobachtung von funktionalen
Wechselwirkungen. Deduktiv ordnen wir diese Beobachtungen in bestimmte Ord-
nungsgefüge oder Schemata ein und erlegen ihnen damit eine vorab schon existie-
rende Identität auf. Auf der transduktiven Ebene schließlich erkennen wir sowohl die
Beziehungen zwischen Einzelobjekten untereinander als auch ihr Voneinander-Ge-
schieden-Sein und ihre Verortung in einem wie auch immer gearteten Raum oder
Milieu, das ihr Existieren erst möglich macht. Dabei bezieht sich Huis Objektbegriff
ausdrücklich nicht auf konkrete Dinge der physischen Welt, sondern auf Gegenstände
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien