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zu einem selbstverständlichen Bestandteil moderner Lebenswirklichkeiten werden
lässt.
Will man Zeitungen über ihre extrem begrenzte historische Situation hinaus an-
schlussfähig machen, so muss man sie in eine andere Verkehrsform überführen ‒ und
diese ist nach te Heesen eben jene des Ausschnitts (vgl. ebd.: 61). Das Zerschneiden
von Zeitungen in kleine Versatzstücke wird hier nicht als eine »Potenzierung« (ebd.)
des Objektes verstanden, sondern vielmehr als der Versuch, »gerade der Fülle und
Geschwindigkeit der Zeitung Herr zu werden« (ebd.). Das industriell fabrizierte und
individuell beliebige Zeitungsblatt erhält eine distinkte Autorität eben durch die Au-
torschaft der Schere: Ausschnittsammlungen erzeugen aus zuvor nur durch ihre
Gleichzeitigkeit miteinander assoziierten Kurztexten neue Textgebäude mit neuen
Kriterien der Zusammengehörigkeit ihrer Einzelelemente. Der Zeitungsausschnitt
»aktualisiert« (ebd.) ‒ man beachte diese Begriffswahl! ‒ in te Heesens Interpretation
damit Bedeutsamkeiten innerhalb der Zeitungsartikel, die in ihrem ursprünglichen
Veröffentlichungszusammenhang nicht zum Tragen kommen konnten.
Das Zerteilen von Zeitungen und das Anlegen von Ausschnittsammlungen ist
also ein durch und durch transduktiver Prozess, indem aus Kristallisationskeimen von
Bedeutungen ganz wie in digitalen Hypertextsystemen und ganz wie in musealen
Ausstellungen neue Objekte und neue Systeme von Objekten entstehen. Unter Rück-
griff auf Michel de Certeau spricht te Heesen hier von einer »zweiten Produktion«,
die sich aus dem zentralen »Alltagsritual« (ebd.: 62) des Kapitalismus, nämlich dem
Konsum, ergibt. Diese zweite Produktion ist ausdrücklich nicht auf die Herstellung
eines neuen oder anderen Produktes ausgerichtet, sondern auf eine Veränderung des
Umgangs mit bereits bestehenden, die durch diesen neuen Umgang ihrerseits trans-
formiert werden (vgl. ebd.). Der Zeitungsausschnitt ist die »Verdinglichung der ephe-
meren Zeitung und der durch einen schnellen Rhytmus geprägten Lektürepraxis«
(ebd.):
Aus einem Serienprodukt entwickelte sich ein Verkehrsobjekt, das Mensch und Objekt, verge-
hende Lektüre und Speicherung, Abfall und Dauer verband, ohne sich auf eine Seite zu schla-
gen. Aus einem Warenprozess stammend und doch nicht seinen Grenzen unterliegend, steht es
zwischen Reproduktion und Einmaligkeit, zwischen Ware und Kunst, Anonymität und Aukto-
rialität, zwischen dem »schlechthin Dauernden« und dem »schlechthin Nicht-Dauernden«, zwi-
schen Medium und Objekt. (Ebd.: 63)
Die Verkehrsform verwandelt also das Objekt nicht durch eine physische Verände-
rung seiner selbst, sondern indem sie dasselbe Etwas an einen anderen sozialen Ort
transponiert und es damit als etwas anderes rezipierbar macht als das, was es zuvor
scheinbar offensichtlich gewesen ist. Damit sind natürlich in gewisser Art alle Re-
produktionen Verkehrsformen der Objekte, die sie abbilden. Beziehen wir den Be-
griff allerdings auf digitale Bilderzeugung, dann erscheint die Verkehrsform zugleich
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien