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›Virtuelle Museen‹: Medienwechsel und Kontinuität | 153
der Dinge hinaus aus der belebten Welt und hinein in die symbolische Ordnung der
Erinnerungseinrichtung ist eben jene Abduktion als ›Entführung‹ der Dinge aus ihren
Ursprungszusammenhängen, welche zugleich die epistemische Abduktion nach Eco
erst ermöglicht. Um die Dinge als Medien lesen zu können, müssen sie dem Alltag
entrissen werden. Im ersten Kapitel dieser Arbeit wurde dieser Vorgang mit Korffs
»dreifacher Aufhebung« (Korff 2005: 97), beschrieben, und auch in Grütters These
vom Objekt, das im Musealisierungsprozess zwar »real«, jedoch nicht »im Realen«
verbleibe (Grütter 1997: 671), klingen ähnliche Überlegungen an.
Bevor der museale Raum also irgendwelche konkreten epistemischen Funktiona-
litäten in Bezug auf individuelle Ausstellungen und Ausstellungsgegenstände entfal-
ten kann, ist er ein Medium, auf das eine Kulturinstitution ihren Vermittlungsan-
spruch projiziert. Ein Schild mit der Aufschrift ›Museum‹ an einem Gebäude anzu-
bringen, heißt, dem Raum innerhalb des Gebäudes ein bestimmtes kulturelles Pro-
gramm aufzuerlegen. Zu diesem gehört eben nicht nur die von Paul Valéry diagnos-
tizierte Justierung der Besucherlautstärke auf ein Niveau zwischen Alltagsleben und
Kirchbesuch, sondern auch eine bestimmte Art, sich zu dem zu verhalten, was hier
zuvor mit Brigitte Scheer als die räumliche Zeichensetzung durch Architekturen und
Dinge identifiziert wurde.
Die Frage nach virtuellen Museums-›Räumlichkeiten‹ muss dementsprechend
unter zweierlei Aspekten abgehandelt werden: Auf der einen Seite steht eben die
Frage nach dem Innen und Außen, nach der Peripherie zwischen Außenwelt und Aus-
stellung und damit eben auch nach der Abduktion, in welcher das Museum als Mit-
teilungssystem überhaupt erst erkannt bzw. vorausgesetzt wird. Hier wird es also in
den Blick zu nehmen gelten, inwiefern sich das Dispositiv ›virtuelles Museum‹ von
nicht-musealen virtuellen Angeboten abzusetzen vermag. Auf der anderen Seite wird
es um die konkreten Modalitäten gehen müssen, unter denen digitale Medien Wis-
sensfragmente zu einander ins Verhältnis setzen können, und inwiefern diese Relati-
onen überhaupt räumlich in Erscheinung treten bzw. in räumlichen Kategorien be-
schreibbar sind. Die Brücke zwischen diesen beiden Ebenen wird dann abermals der
Rezipient bilden ‒ und mit ihm die Frage nach seiner räumlichen Verortung innerhalb
des bzw. gegenüber dem digitalen Mediendispositiv.
3.3.1 Museale Entführungen
In seinem vielzitierten Text Über den Begriff der Geschichte beschreibt Walter Ben-
jamin ausgehend von Paul Klees Gemälde Angelus Novus die Geschichte als einen
»Engel«, welcher vom »Sturm« des Fortschritts immer weiter vom Paradies fortge-
trieben wird, und dabei – unfähig, sich zurück zu kämpfen und die Fehler der Ver-
gangenheit zu korrigieren – nur verzweifelt die Anhäufung der »Trümmer« betrach-
ten kann, welche das Fortschreiten der Zeit ihm hinterlässt (Benjamin 2007: 133).
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien