Page - 21 - in Palacký's Politisches Vermächtniss
Image of the Page - 21 -
Text of the Page - 21 -
21
terverhältnissen herrscht nicht die Gewalt, sondern wenigstens zum
Scheine ein freiwilliger Vertrag, welcher, wie bekannt, immer und
überall das Eecht bricht. Der Arbeiter wird nirgend als Leib-
eigener angesehen; um den festgesetzten Lohn arbeitet nur, wer
will; wer nicht will, ist nicht zur Arbeit gezwungen. Es ist somit
kein Wunder, dass die Arbeiterfrage später und unter grösseren
Schwierigkeiten, als die Bauernfrage, zu ihrer endlichen Lösung
auf legislativem Wege gelangt. Dafür beschäftigt sich aber in un-
seren Tagen bereits beinahe das ganze gebildete Europa mit der-
selben; man darf somit den endlichen Sieg der Wahrheit und Ge-
rechtigkeit hoffen,* ihn jedoch nicht durch eitles Drängen und auf-
reizende, aber nicht zum Ziele führende Versuche kompromittiren.
Nachdem ich der Hoffnung auf einen schliesslichen Sieg der
Wahrheit und Gerechtigkeit in menschlichen Angelegenheiten Aus-
druclr gegeben, kann ich mich an dieser Stelle nicht enthalten,
diesen Punkt ein wenig gründlicher zu erörtern.
Da überhaupt die menschliche Thätigkeit eine zweifache
Richtung, zum Guten und zum Bösen, zum Rechte und zum Un-
rechte, einschlägt, und da die Wahrheit und das Gute immer nur
durch eifriges Bemühen errungen werden können, so kann man
sich nicht der Wahrnehmung verschliessen, dass auch in unseren
Tagen dieser Zwiespalt besondere Wege und Formen wählt, welche
unserem Zeitalter angemessen sind. Das Autoritätsprincip, welches
ehemals im Mittelalter allmächtig war, verliert in unseren Tagen
seine Macht und seinen Einfluss auf die Gemüther immer mehr
und mehr. Je mehr sich das Wissen ausbreitet, um so mehr
nimmt der Glaube ab, namentlich in den Gebieten, in welchen
das Wissen feste Grundlagen besitzt. Der Verfall des mittelalter-
lichen Glaubens wurde hauptsächlich von dem Zeitpunkte an un-
aufhaltsam und unvermeidlich, seitdem Gopernicus hinsichtlich des
riesigen Sonnen- und Weltsystems die Wahrheit entdeckt hat;
sobald unsere Erde aufgehört hatte, nicht bloss die gesammte Welt,
sondern auch nur ihren Hauptbestandtheil zu bilden, und fortan unter
die Planeten rangirte, erfuhren die Ansichten der Menschen von
der Welt und Natur, ja sogar von der Geschichte überhaupt, eine
durchgreifende und nicht zu behebende Aenderung; vor allem
wurden die althergebrachten anthropomorphischen Vorstellungen von
Gott und, was immer mit ihnen zusammenhängt, für die Zukunft
unmöglich. Die menschliche Vernunft nahm für sich die Macht
und das Recht der Beurtheilung und Entscheidung in zahlreichen
Gebieten in Anspruch, wo vordem die Autorität und der Glaube aus-
schliesslich geherrscht hatten. DieWahrheit jedoch kann immer nur
eine und dieselbe sein, keineswegs aber zweifach und sich wider-
sprechend, einmal der Autorität, das anderemal der Vernunft gemäss.
Allein auch die Vernunft pflegt nicht immer an und für sich unfehlbar
back to the
book Palacký's Politisches Vermächtniss"
Palacký's Politisches Vermächtniss
- Title
- Palacký's Politisches Vermächtniss
- Author
- František Palacký
- Location
- Prag
- Date
- 1872
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.0 x 23.6 cm
- Pages
- 42
- Categories
- Dokumente Geschichte