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der grössten Krieger und Sieger der Welt, sondern auch ein
grosser Gesetzgeber, und die Nation, deren Führer er war, er-
langte nicht nur im Unterjochen fremder Gebiete, sondern auch
in der gesammten Centralisirungskunst eine solche Meisterschaft,
dass die Wiener Verfassungsfreunde noch bei ihr in die Schule
gehen könnten; Humanität und Gerechtigkeit lagen allerdings den
einen Eroberern ebenso wenig am Herzen wie den andern. Der
Unterschied zwischen den slavischen Principien und den deutschen
und mongolischen Grundsätzen liegt also auf der Hand. Ich
gestehe zu, dass die Slaven überhaupt die Künste ihrer Feinde sich
aneignen und nachahmen mussten, wenn sie von ihnen nicht unter-
jocht und sogar vertilgt werden sollten; ich erkenne an, dass für die
russischen Slaven diess um so mehr eine Sache der Notwendigkeit
war, je zahlreicher und mächtiger die Feinde waren, welche sie um-
gaben, und dass das mächtige russische Reich überhaupt niemals
hätte entstehen können, wenn diese Feinde nicht besiegt und unter-
worfen worden wären, mit anderen Worten, wenn man nicht zu
Eroberung und Centralisation seine Zuflucht genommen hätte. Nach-
dem aber dieses Reich sich nicht allein gebildet, sondern auch durch
jahrhundertelangen Bestand die Sanktion der Zeit erhalten hat, be-
haupte ich durchaus nicht, dass es wieder auseinanderfallen oder
auch nur die zu seinem Schütze nothwendige Kriegskunst vernach-
lässigen sollte: dagegen bin ich der Ansicht, dass die Rückkehr zu
den slavischen Principien, deren hervorragendstes Merkmal die
friedliche Gesinnung und Abwesenheit jeglicher Herrschsucht sind,
in ausgezeichnetem Masse nicht bloss der russischen Nation, son-
dern überhaupt der gesammten Humanität zu allseitigem Vortheile
gereichen würde. — Es ist somit sehr zu wünschen, es möge der
wahre Geist des Slaventhums in Russland erstarken und sich aus-
breiten, damit er nunmehr nicht bloss die ganze Nation, sondern
auch ihre Herrscher und Führer durchdringe. Es ist nöthig, das
Bewusstsein der Stammeseigenthümlichkeit und des auf dieser be-
ruhenden Lebens unaufhörlich zu erneuern, sich die Tugenden der
Vorfahren zum Muster zu nehmen und sich vor deren Fehlern und
Gebrechen zu hüten. Obzwar das Gebiet der russischen Natio-
nalität gross und ausgedehnt ist, so würde doch eine spontane
Beschränkung auf das exclusiv russische Bewusstsein nur geistige
Beschränktheit und Einseitigkeit, sowie unedlen nationalen Egois-
mus zur Folge haben. Sobald der Russe ein Slave sein und sich
als solcher fühlen wird, wird er nicht bloss seinen geistigen Hori-
zont beträchtlich erweitern, sondern auch reiche Quellen der Be-
friedigung und Aufrichtung gewinnen. Und gerade in dieser Hin-
sicht hat unsere Moskauer Wallfahrt vom J. 1867 eine nicht ge-
ringe Bedeutung erlangt. Während das slavische Bewusstsein sich
vordem in Russland auf einen kleinen Kreis der Gebildeten und
der sog. „Slavjanofilen^ (welche die öffentliche Meinung beinahe
für Sonderlinge ansah) beschränkte, hat es bereits durch den
kurzen Besuch und Verkehr einiger slavischen Notabilitäten in
der Oeffentlichkeit Russlands mehr oder weniger in allen Kreisen,
ja auch im gemeinen Volke Boden gefunden, und nimmt seitdem
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Palacký's Politisches Vermächtniss
- Title
- Palacký's Politisches Vermächtniss
- Author
- František Palacký
- Location
- Prag
- Date
- 1872
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.0 x 23.6 cm
- Pages
- 42
- Categories
- Dokumente Geschichte