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tragen, noch lange Zeit aufrecht erhalten werden: dann werden
allerdings diese Reflexionen für diesen Zeitraum ihre Giltigkeit ver-
lieren und die Böhmen werden, wie bisher, in ihrer unerquicklichen
Stellung verharren müssen. Ich zweifle nicht daran, dass sie auch
in dieser letzten Prüfung sich selbst treu bleiben werden; haben
sie ja doch bereits so viele und zwar noch schwerere bestanden, ohne
darum etwas an Leben und Krafteingebüsst zu haben; Renegaten
jedoch und Verräther unter ihnen haben noch niemals die Palme der
Unsterblichkeit erlangt und werden sie auch fürderhin nicht ge-
winnen. Unter solchen Umständen wird sich kein1 anderes Ver-
hältniss zwischen den Böhmen und Russen an den Tag legen können,
als das einer platonischen Liebe, wie es bisher besteht. Allein
auch hier muss man zweierlei Rücksichten unterscheiden: einmal
die Rücksicht auf die russische Regierung und dann die Rücksicht
auf die russische Nation.
Was die russische Regierung betrifft, so kann man — glaube
ich — bisher nicht einmal von einer platonischen Liebe derselben zu
den Böhmen sprechen; ich wenigstens weiss von keinen Thatsachen,
mittelst welcher sie eine solche bewiesen hätte. Unsere geschwornen
Feinde in der Gegenwart sind hauptsächlich darum bemüht, uns
nicht allein auf jede mögliche Weise zu schwächen, sondern sogar
gänzlich auszurotten, damit wir in Zukunft, bis der unvermeidliche
Weltkampf des Germanenthums mit dem Slaventhum herangebrochen
sein wird, nicht an die Seite unserer natürlichen Verwandten und
Beschützer uns zu stellen vermöchten. Obgleich es daher der ganzen
Welt bekannt ist, dass die gewaltige Machtstellung Russlands, wenn
nicht die Hauptursache, so doch eine bedeutende Veranlassung
und Quelle unserer vielfachen Leiden ist: so ignorirt die russi-
sche Regierung nichts desto weniger diese Thatsache, und ihre
Diplomatie hat nicht nur noch kein Wort zu unsern Gunsten fallen
lassen, sondern sie ist unablässig bemüht, sich nur die Gunst unserer
Feinde zu sichern. Bismark scheuet sich nicht, durch seine Werk-
zeuge und Verbündeten, nicht allein uns beim Caren als Revo-
lutionäre und Demagogen (— wir sind darüber gut informirt —)
zu verschwürzen, sondern den mörderischen Kampf gegen das
Slaventhum bereits auch in Oesterreich anzufachen: und die russischen
Diplomaten fraternisiren nichts desto weniger mit ihm. Es lässt
sich nicht in Abrede stellen, dass um den Thron des „ba-
tjuSka Car" herum noch immer alte deutsche Traditionen und Sym-
pathien sich geltend machen und (insbesondere durch weiblichen
Einfluss) sogar den Vorzug gewinnen; die hie und da sich darbietenden
Erscheinungen von slavischem Gepräge stossen die Regel noch
immer nicht um. Weil jedoch auch zu einer platonischen Liebe
wenigstens zweie nöthig sind, die einander wechselseitig gerne
haben, so kann man in Folge dessen auch das Verhältniss der
böhmischen Nation zum russischen Hofe leicht beurtheilen.
Anders gestaltet sich allerdings das Verhältniss der beiden
Nationen zu einander. In dieser Hinsicht sei mir gestattet, vor allem
auf eine meiner Meinung nach sehr wichtige, ja entscheidende That-
sache, welche jedoch, so viel mir bekannt ist, noch nirgend zur
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Palacký's Politisches Vermächtniss
- Title
- Palacký's Politisches Vermächtniss
- Author
- František Palacký
- Location
- Prag
- Date
- 1872
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.0 x 23.6 cm
- Pages
- 42
- Categories
- Dokumente Geschichte