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nung all der mannigfachen Besonderheiten in der Aussprache des
Böhmischen und anderer europäischen Sprachen nicht gestatten.*)
Es ist hier nicht der Ort, sich darüber des weitern auszulassen.
Es ist auch keine eitle Prahlerei, wenn man behauptet, dass die
böhmische Rechtschreibung an und für sich unter allen bekannten
Schreibweisen der Welt eine der vollkommensten und konsequen-
testen ist, so dass auch fremde Philologen über Rask's Anem-
pfehlung sich ihrer häufig bei aussereuropäischen Sprachen bedienen,
und die Südslaven, welche die lateinische Schrift gebrauchen, sich
aus freien Stücken dieselbe aneigneten. Eine vollkommenere Sache
gegen eine minder vollkommene auszutauschen, pflegt Niemandem
genehm zu sein. Und da einmal der gebildete Russe die Kenntniss
der Lateinschrift nicht missen kann, warum sollte nur die böhmische
Schrift, welche alle slavischen Laute so bestimmt und einfach als
möglich kennzeichnet, ihm beschwerlich dünken?
Beide Divergenzen, sowohl was die Kirche, als auch was dre
Schrift betrifft, haben wohl die Bedeutung offenbarer Unterschiede,
stören jedoch weder die Verwandtschaft, noch auch die gegenseitige
Zuneigung der Russen und Böhmen. Gerade so wie die Böhmen
an die Russen weder das Ansinnen stellen, noch auch stellen können,
Böhmen zu werden, eben so wenig verlangen die gebildeten Russen
überhaupt, dass wir unsern nationalen Eigenthümlichkeiten und
unserer Geschichte entsagen sollen, welche in der Geschichte
Europa's und der Civilisation überhaupt nicht die letzte Stelle ein-
nehmen, und, so Gott will, eine noch grössere Bedeutung erlangen
werden, bis nur die Eifersucht und der Eigendünkel der Deutschen
ihnen nicht mehr hinderlich sein wird. Die nunmehr von Jahr zu
Jahr wachsende Hoffart, Herrschsucht und Habgier der Deutschen,
welche bereits ohne Scham verkünden, sie seien berufen, die Slaven
zu beherrschen, muss je weiter desto mehr nicht nur das Geführ
des Allslaventhums, sondern auch die beiderseitige Hingebung und
Freundschaft der Russen und Böhmen wecken und kräftigen. Darum
sehe ich mit Beruhigung der Zukunft entgegen, die sich je weiter
desto erfreulicher gestalten wird, da ich weiss, dass nach langem
und hartem Kampfe der Slave, als schliesslicher Sieger, den Feinden
gegenüber ein gerechteres und edleres Verfahren einschlagen wird,
als es bei Mongolen, Magyaren und Deutschen der Fall war.
Ich bin, wie mich dünkt, redselig geworden und habe meine
Rede wider Absicht und Vermuthen ausgedehnt. Es schien mir,
als wäre es zum Jetztenmale, dass ich noch, wenigstens politische
Fragen, vor meinen Landsleuten, welche seit vielen Jahren zum
öftern meinen Worten gütiges Gehörschenkten, öffentlich behandeln
*) So könnte beispielsweise der Name „Hegel", russisch geschrieben, auch
Gegel, Hehel und Gehel gelesen werden u. a. m.
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Palacký's Politisches Vermächtniss
- Title
- Palacký's Politisches Vermächtniss
- Author
- František Palacký
- Location
- Prag
- Date
- 1872
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.0 x 23.6 cm
- Pages
- 42
- Categories
- Dokumente Geschichte