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ZwischenGhettogeschichteundâTrauerspielâ 57
Nichtganzsodramatischgezeichnet istdieFigurderPamela,einesneugieri-
gen jungenMĂ€dchens,dasgerne liest (vgl.:DS5)undsichdurchBildungund
Vorstellungsgabeaus ihremals langweiligundbeengendempfundenenUmfeld
zuemanzipierenversucht: âGehPamela,erzĂ€hletwas!DuweiĂt ja immerso
vieleGeschichten.â (DS28)DamitgibtFeldmannimplizitenVerweisaufdie
jĂŒdischerErzĂ€hltechnik innewohnendeâTendenzzurOralitĂ€tâ,151dieKucher
nebenderderAnverwandlungzeitgenössischerFormenals âhybridesâMoment
derGhettoliteraturausmacht.
ObwohlmitmehrDurchsetzungskraftundAbgrenzungsvermögenalsSimon
ausgestattet â gegendieunverhohlenenAvancendesdeutlich Ă€lterenKauf-
mannsFeuersetztPamelasichungeachtetderZurechtweisungvonSeitender
Mutter selbstbewusst zurWehr: âUndwenn ichnichtwill? [âŠ]Siekönnen
soreichseinwieRothschildâ fĂŒrmichsindSieeinschmutziger,durchund
durch schmierigerâŠâ (DS44)â, lastendennochDumpfheit undEngedes
GhettossowiedieAhnungumdievergeblicheHoffnungaufeinbesseresLeben
drĂŒckendauf ihr.GefĂŒhle,die sich imStĂŒck inFormvonLethargie: âEs ist so
schön, faulzusein! [âŠ]DasLebenisthier fad!â (DS14ff),Ekel: âPfui!Pfui!
Pfui!WieekelhaftistdasLeben!â (DS43), sowieunumwundenerVerzweiflung
Bahnbrechen:
PAMELA: Ichkannnichtgut sein!Mir ist auchniemandgut. (Weintheftiger) Sokann
ichauchniemandgut sein. [âŠ]Gott, ichhabâ eineAngst, daĂ ichsokleinundhĂ€Ălich
bleibâ![âŠ],weilmeinVatereinTrunkenboldwar.[âŠ],wennichdannaltbinundmeine
MuttertotundichganzalleinaufderWeltstehâ,soeinkleines,altes,verhutzeltesWeiberl,
demdieKindernachlaufenânein,damöchte ichgleich lieber tot sein! [âŠ]So traurig
istdasLeben! (DS28)
DemgegenĂŒber steht dieVorstellung von einembesserenLeben fernabdes
Ghettos.ProjektionsflĂ€che fĂŒrderleiUtopienbietennebenderSchweiz,wohin
Adrianmit Simongehenwill,OrtewieParis, Shanghai oderdas klassische
AuswanderungslandAmerika.
PAMELA: Ichbin so kleinundhĂ€Ălich! Paris stellâ ichmir so vor:Dort sinddie aller-
schönstenunddieallerglĂŒcklichstenMenschenundessinddort lauterreiche, feineHer-
renâKavaliere,undjederhateineGeliebteunddassindwiederwunderschöneDamen,
groĂundschlankâmajestĂ€tischâ[âŠ]AberKinder,schmutzige,barfĂŒĂigewiehierund
hĂ€ĂlichealteWeibergibtesdortnicht. (DS28)
Diemit der Fremde verbundenenGefĂŒhle sind allerdings ambivalent.Die
FremdewecktnichtnurHoffnungen,erscheintnichtausschlieĂlichalsSehn-
151 Primus-HeinzKucher:Ghetto-Literatur.O.Â
a.: S. 279.
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0 | CC BY-NC-ND 4.0
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Else Feldmann: Schreiben vom Rand
Journalistin und Schriftstellerin im Wien der Zwischenkriegszeit
- Title
- Else Feldmann: Schreiben vom Rand
- Subtitle
- Journalistin und Schriftstellerin im Wien der Zwischenkriegszeit
- Author
- Elisabth H. Debazi
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21213-3
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- L
- Category
- Biographien