Page - 242 - in Else Feldmann: Schreiben vom Rand - Journalistin und Schriftstellerin im Wien der Zwischenkriegszeit
Image of the Page - 242 -
Text of the Page - 242 -
242 PoetikdesSchreibensvomRand
wirdplötzlichmeineHandumklammert, ichwerde festgehalten[…].“ (MUA
215)AufdiesenunverhohlenenAnnäherungsversuchreagiertMarthamit in-
nerlichemRückzug–„keinWiederhall seinesheißenGefühls inmir, ichbleibe
kaltundtot,wie iches immerderartigenAusbrüchengegenüberblieb“(MUA
232ff.)–,dersich imVerlaufnochverstärkt:„[…]eineHandstreichtmirübers
Haar, abernicht leichtund liebevoll, sondernschwerundhart,dieganzeHand
liegtmirwieeinBrettaufdemKopf, ichkehremichunwilligum.“ (MUA238)
Bei ihrem gemeinsamen Ausflug auf den Berg schließlich „drückt und
quetscht [er]meineHand,undalseineMinute langniemandvorbeigeht,preßt
er seinenMunddarauf.Erzittertundatmet laut.“ (MUA247)Damiterweckt
erbeiMarthaUnwillen–„Was istdennjetzt schonwiederdas?“ (MUA247)–,
dernachdemGeschlechtsakt indemaltenSchloss inEkelundblankenHass
umschlägt:
[…]wieweichundekligwarmseineHände sind. Ichkannmirnicht helfen, es ist ein
Unglück, aber ich empfinde plötzlichEkel vor ihm.Wäre ich verurteilt,mit ihmganz
alleinzubleiben,würde ich ihnzutötenversuchenundmichauch. (MUA310)
Nur durch intensives Taktgefühl könnten, so Simmel, solche Risse in zwi-
schenmenschlichenBeziehungenwiedergeschlossenoderabervonvornherein
vermiedenwerden.
Reisebekanntschaft
AusdenÜberlegungen,dieSimmel inseinemAufsatzüberdieSoziologiedes
RaumeszudenAuswirkungen,dieBewegung imRaumaufdieBeziehungvon
Gruppenhat, anstellt, seials letztediezurReisebekanntschaftherausgegriffen,
diesichfürFeldmannsRomanMarthaundAntoniaalsaufschlussreicherweist.
BesonderesCharakteristikumderReisebekanntschaftist,dasssiehäufigeine
IntimitätundOffenherzigkeit entwickelt, fürdieeigentlichkein innererGrund
besteht.Simmel führtdieszumeinenaufdieLosgelöstheitvondergewohnten
Umgebung,zumanderenaufdieGemeinsamkeitdermomentanenEindrücke
sowiedasBewusstseindesbaldigenunddefinitivenAuseinandergehenszurück.
ErlebtMarthadieLoslösungvonihreminkriminiertenUmfeldalsBefreiung
–„Ja,hierwarallesandersalsdaheim. Ichselbstwaranders.Einganzanderer
Mensch[…].“ (MUA327)–, fühltWladimirsich inderFremdebeschnitten:
„OhnemeinRichterkleidundallesDazugehörigebin ichnureinTorso.“ (MUA
256)
DiewenigstenMenschen, soSimmel,habeneinsicheresEmpfindenfürdie
unverschiebbareGrenzeihresseelischenPrivatbesitzes.WelcheReservenunser
individuellesSein fordert,waswiranderenvonunsoffenbarendürfen,ohne
selbst verletztoder ineinepeinlicheSituationgebrachtzuwerden, erfahren
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0 | CC BY-NC-ND 4.0
© 2021, Böhlau Verlag Ges.m.b.H. & Co. KG, Zeltgasse 1/6a, A-1080 Wien
back to the
book Else Feldmann: Schreiben vom Rand - Journalistin und Schriftstellerin im Wien der Zwischenkriegszeit"
Else Feldmann: Schreiben vom Rand
Journalistin und Schriftstellerin im Wien der Zwischenkriegszeit
- Title
- Else Feldmann: Schreiben vom Rand
- Subtitle
- Journalistin und Schriftstellerin im Wien der Zwischenkriegszeit
- Author
- Elisabth H. Debazi
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21213-3
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- L
- Category
- Biographien