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16 der von Berlin vorgegebenen Linie befand, ferner, dass nur ein offizielles Print-
medium („Völkischer Beobachter“) und ein Reichsrundfunk, meist über einen
heute zum Kultobjekt gewordenen Volksempfänger aus Bakelit empfangen,
bestanden und „Schwarzhören“ mit der Todesstrafe geahndet wurde. Alle
Briefe und Postkarten aus dem Ausland und somit auch von der Front wurden
zensuriert, d.h. geöffnet, gelesen, dem „Feinde dienliche oder der deutschen
Propaganda nicht genehme“ Stellen geschwärzt, dann wieder verschlossen
und mit einem Rundsiegel „Amtliche Zensurstelle“ versehen. Meine Mutter
bekam öfters Briefe von Verwandten aus Laibach, die einige geschwärzte
Zeilen aufwiesen.
Diesen politischen Druck verspürten wir als Kinder kaum, denn er gehörte, seit
wir denken konnten, zum gewöhnlichen Alltag.
Der Sonntagsausflug mit der Familie bestand meist aus einer kleinen Wan-
derung in den Wienerwald, wobei die Wanderung bei einer Endstation der
Straßenbahn ihren Ausgang nahm und auch den Schluss fand, denn diese
Endstationen lagen damals voll im Grünen und von dort ging es sofort in den
Erholungsraum rund um Wien. Manchmal gingen wir zum Abschluss der Wan-
derung als „Belohnung“ zu einem Heurigen. Damals war es üblich, das Essen
im Rucksack mitzubringen, dort auszupacken und nur die Getränke zu kaufen.
Oftmals stellte der Wirt Teller und das Essbesteck für die Konsumation auf
den ungedeckten Tischen bereit. Meine Eltern tranken ein Glas Wein und wir
bekamen unser Kracherl. Der Heurige war über lange Zeit das billigste Vergnü-
gen und ist nach wie vor eine Wiener Institution.
Gegenseitige Einladungen waren eher selten. Da nicht alle Bekannten über ein
Vierteltelefon verfügten, war die Kommunikation nicht einfach, dazu kamen
noch die Bombenangst und der Mangel an Lebensmitteln. So war es fast die
Regel, Ess- und Trinkbares mitzubringen und gemeinsam aufzutischen. Eine
weitere Gefahr bestand auch darin, dass Kinder vielleicht Politisches aus ihrer
Familie ausplauderten, was zu Schwierigkeiten hätte führen können.
Den Urlaub, damals Sommerfrische genannt, verbrachten wir kriegsbedingt
in der näheren Umgebung Wiens, meist im südlichen Niederösterreich oder in
Bad Sauerbrunn, wo gute Bekannte von uns wohnten. Wir bezogen in der Re-
gel für drei bis vier Wochen ein Privatquartier in einem Einfamilienhaus und
machten mit den Eltern kleine Tagesausflüge zu Fuß oder beschäftigen uns in
Haus und Garten. Mein Vater, der sich nicht so lange Urlaub nehmen konnte,
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Title
- Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
- Subtitle
- Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Author
- Othmar Nestroy
- Editor
- Technischen Universität Graz
- Publisher
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-741-0
- Size
- 20.0 x 25.0 cm
- Pages
- 120
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einstimmung 8
- Einleitung 11
- Politische Propaganda 13
- Spiel und Sport 19
- Der Krieg wird spürbar 23
- Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
- Privater und öffentlicher Verkehr 32
- Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
- Der totale Krieg beginnt 47
- Die Front rückt näher 57
- Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
- Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
- Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
- Nachklang 93
- Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
- Ausklang 115