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36 5 Spritzwägen hatten zu Kriegszeiten keine eingebaute Pumpe, weshalb das Wasser durch ein
waagrechtes, mit Spritzdüsen versehenes Rohr auf die Straße tropfte, bis der Tank leer war.
Gegen Ende des Krieges und durch den eklatanten Mangel an Benzin kamen
die Holzgasmotoren auf. Auf der Ladefläche eines Lkws, knapp hinter dem
Führerhaus, befand sich ein Holzvergaser, der luftdicht verschlossen war und
am unteren Ende eine Luftklappe besaß. So konnte direkt von Holz Holzgas
erzeugt und dieses direkt dem Motor zugeführt werden. Auch in Pkws fanden
kleine Holzvergaser im Kofferraum oder unter der vorderen Motorhaube Platz.
Drohte das Holzgas auszugehen, so steuerte der versierte Fahrer einen nahe-
gelegenen Wald oder zumindest ein Gehölz an und mit Hilfe der immer mitge-
führten Säge konnte man dann das Gefährt bald wieder flott machen.
Schon während des Krieges besaß die Post gelb gestrichene Elektrofahrzeu-
ge, die über eine große Batterie und Radnabenmotoren angetrieben wurden.
Diese sind nicht nur wegen der Bemalung besonders im Verkehr aufgefallen,
sondern auch, da sie tagtäglich sehr langsam über die Mariahilferstraße zum
Westbahnhof „hinaufkeuchten“. Die Müllabfuhr bewerkstelligten schwere
Dieselwägen mit einer durch Klappen abgedeckten Ladefläche. Die Arbeiter
mussten jeden vollen Mistkübel anheben und den Inhalt mit Schwung in den
Laderaum kippen – eine kräfteraubende, stinkende und schmutzige Arbeit. Da
nicht alle Straßen gepflastert waren, kamen in den heißen Hochsommertagen
Spritzwägen zum Einsatz. Es waren dies laute Dieselfahrzeuge mit einem of-
fenen Hinterrad-Kettenantrieb zu den Vollgummi-Rädern und einem mehrere
Kubikmeter Wasser fassenden Tank, mit dem die staubige Straße allein mit-
hilfe der Schwerkraft5 etwas befeuchtet wurde. Braun gestrichene Eiswägen
gehörten ebenfalls zum täglichen Straßenbild von Wien. Sie beförderten im
kaum isolierten Laderaum das in den Eisfabriken in Stangenform gefertigte
Eis. Die rund einen Meter langen Blöcke lagen auf Holzgestellen und bei je-
dem, der Eis bestellt hatte, hielt das Fahrzeug an, der Beifahrer nahm gegen
Kälte und Feuchtigkeit einen Sack über die Schulter, dann schulterte er den
Eisblock und bugsierte diesen in den einigermaßen isolierten Eisschrank ei-
nes Gast- oder Kaffeehauses. Nicht zur Dekoration, sondern zum Trocknen,
wurden dann die beiden Begrenzungsstangen an den Enden der vorderen
Stoßstange von den Jutesäcken überstülpt.
An Fliegen war gar nicht zu denken. Es gab für Zivilpersonen kaum eine Flugge-
legenheit und auch die technische Ausstattung der eingesetzten Geräte bot
keinen besonderen Anreiz – einen Flug in einer so wackeligen „Wellblechkiste“
zu wagen, war nur etwas für waghalsige Pioniere.
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Title
- Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
- Subtitle
- Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Author
- Othmar Nestroy
- Editor
- Technischen Universität Graz
- Publisher
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-741-0
- Size
- 20.0 x 25.0 cm
- Pages
- 120
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einstimmung 8
- Einleitung 11
- Politische Propaganda 13
- Spiel und Sport 19
- Der Krieg wird spürbar 23
- Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
- Privater und öffentlicher Verkehr 32
- Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
- Der totale Krieg beginnt 47
- Die Front rückt näher 57
- Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
- Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
- Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
- Nachklang 93
- Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
- Ausklang 115