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94 Ab dem Jahre 1955 setzte in Österreich eine noch nie dagewesene Konjunk-
tur in allen Lebensbereichen ein: Diese war einerseits durch den Aufbauwillen
und die Initiative der österreichischen Bevölkerung bedingt, andererseits aber
auch durch internationale Hilfe, wie die für unser Land sehr positiven ERP-Kre-
dite, deren Erlöse wiederum der österreichischen Wirtschaft zu Gute kamen.
In Erinnerung sind mir noch die Österreich auferlegten Reparationen an die
UdSSR, teils auch in Form von Erdöllieferungen. Wie ich später erfuhr, wurden
diese Lieferungen von in Österreich gefördertem Erdöl, das durch einen be-
sonders geringen Schwefelgehalt geschätzt wurde, auch prompt in die UdSSR
ausgeführt. Da der Bedarf in Österreich stets höher war als die laufende Pro-
duktion, musste unter anderem auch aus der UdSSR Erdöl importiert werden.
Die Messungen der geringen Schwefelgehalte des importierten Erdöls zeigten
jedoch, dass auf diese Weise ein Großteil des in die UdSSR gelieferten Erdöls
wieder seinen Weg zurück nach Österreich fand.
Aber nicht nur die Wirtschaft florierte, sondern auch Kunst und Kultur: In den
Herbsttagen des Jahres 1955 erstrahlten sowohl die Wiener Staatsoper wie
auch das Burgtheater in neuem Glanz und mit Staatsakten wurden diese tra-
ditionellen Häuser wiedereröffnet – ein Symbol für das wiedererstandene, kul-
turelle Österreich.
Einen Teil der Fidelio-Premiere konnte ich im Bärenmühlendurchgang, mitten
in einer großen Menschentraube um einen Schwarzweiß-Fernseher in einem
Radiogeschäft stehend, mitverfolgen. Der Jubel nach Fallen des Vorhangs am
Ende dieser Oper übertrug sich von den Besuchern des Hauses am Ring auch
auf die Zuseher vor diesem Fernseher.
Ich hatte im Herbst 1952 mit meinem Studium an der damaligen Hochschule
für Bodenkultur, Fachrichtung Landwirtschaft, begonnen. Wir waren rund 35
Hörerinnen und Hörer im ersten Semester und die Gesamtzahl der Studieren-
den auf der Boku lag bei 650 Personen – heute sind es rund 12.000.
Die Hörsäle waren im Winter eher frisch, der große Hörsaal im Neugebäude
in der Feistmantelstraße im Winter und Sommer mit „Air Condition“, da die
Fenster sehr undicht waren und dadurch eine permanenter Luftaustausch im
windigen Wien stattfand – Fensterplätze wurden deshalb in der Heizperiode
gemieden.
Das Chemielabor hatte noch die Einrichtung aus der Kriegszeit: massive Ei-
chentische und einfache Geräte für die chemischen Übungen – heute fast ein
Nachklang
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Title
- Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
- Subtitle
- Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Author
- Othmar Nestroy
- Editor
- Technischen Universität Graz
- Publisher
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-741-0
- Size
- 20.0 x 25.0 cm
- Pages
- 120
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einstimmung 8
- Einleitung 11
- Politische Propaganda 13
- Spiel und Sport 19
- Der Krieg wird spürbar 23
- Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
- Privater und öffentlicher Verkehr 32
- Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
- Der totale Krieg beginnt 47
- Die Front rückt näher 57
- Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
- Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
- Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
- Nachklang 93
- Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
- Ausklang 115