Page - 95 - in Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten - Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
Image of the Page - 95 -
Text of the Page - 95 -
95
wenig romantisch anmutend, mit Bunsenbrennern, Eprouvetten, Erlenmey-
erkolben, dazu Eifrige mit säurezersetzten, ehemals weißen Arbeitsmänteln
und angebraunten Fingerkappen.
Kulinarisch gestalteten sich die Obstbauübungen im großen Hörsaal, da bei
diesen die Früchte des (Hochschul-)Gartens nicht nur gezeichnet werden
mussten, sondern auch verkostet werden konnten. Diese Übungen waren
deshalb durchaus gut besucht.
Die Exkursionen bedeuteten immer wieder einen Höhepunkt. So der Besuch
des Versuchsgutes in Groß-Enzersdorf – damals noch mit der Straßenbahn
erreichbar – und bodenkundliche Exkursionen in den Raum Dürrwien oder As-
pang, jeweils per Eisenbahn und mit zwei Profilen als Tagesleistung. Zu dieser
Zeit begannen auch die Tagesexkursionen mit meist schon etwas in die Jahre
gekommenen Autobussen in das Gebiet des Neusiedler Sees, speziell in den
Seewinkel, der damals noch weitgehend unberührt war, weshalb die Ausflü-
ge gewisser Vorbereitungen bedurften – manchmal wurde das Mittagessen
durch stramme Haltung ersetzt. Am meisten freuten wir uns auf das Postkol-
loquium nach Ende einer Exkursion bei der Boku: Die Runde der Teilnehmer fiel
beim Türkenwirt ein, nicht nur um den Durst des Tages zu löschen, sondern
vor allem, um mit den Professoren auf Augenhöhe sprechen zu können und
Fragen zu stellen, die man unter Tags sich nicht zu stellen traute. Gerade bei
einem solchen freien Gespräch konnte ich viel dazu lernen.
Gut in Erinnerung sind mir noch die Exkursionen in das nahrungsreiche Ober-
österreich im Jahre 1953 oder zur DLG-Ausstellung nach München – die erste
Auslandsexkursion!
Vielleicht waren gerade die in allen Bereichen bescheidenen Verhältnisse der
Grund für den Besuch einer Hochschule und ein Studium im Humboldt‘schen
Sinne, als Einheit von Lehrenden und Lernenden, ermöglicht durch eine über-
schaubare Zahl von Studenten mit überschaubaren finanziellen Mitteln.
Mein Vater starb unerwartet während meiner landwirtschaftlichen Praxis in
Oberösterreich im Herbst 1954, ich beendete mein Studium zum Weihnachts-
termin des Jahres 1956 und hatte schon einige Monate vorher meinen Dienst
am Institut für Bodenforschung an der Boku angetreten.
Zur geringen Witwenpension meiner Mutter gewährte mir die Firma Gebrüder
Böhler & Co. AG eine befristete Beihilfe, für die ich noch heute dankbar bin.
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Title
- Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
- Subtitle
- Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Author
- Othmar Nestroy
- Editor
- Technischen Universität Graz
- Publisher
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-741-0
- Size
- 20.0 x 25.0 cm
- Pages
- 120
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einstimmung 8
- Einleitung 11
- Politische Propaganda 13
- Spiel und Sport 19
- Der Krieg wird spürbar 23
- Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
- Privater und öffentlicher Verkehr 32
- Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
- Der totale Krieg beginnt 47
- Die Front rückt näher 57
- Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
- Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
- Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
- Nachklang 93
- Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
- Ausklang 115