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100 Das zweite Ereignis war jedoch bedeutend einschneidender.
Durch einen glücklichen Umstand erfuhr Herr S.O., dass sein Bruder in nur 400 m
Entfernung im Einsatz war. So kam es in Skandinavien, rund 5.000 km von der
Heimat entfernt, für einige Stunden zu einem Treffen der Brüder. Etwas später
sahen sie einander nochmals kurz – es sollte das letzte Treffen sein, denn im
September 1942 bekam Herr S.O. die Nachricht, dass sein Bruder bei einem
Einsatz schwer verwundet worden und kurz danach seine Verletzungen erle-
gen war. Seiner Mutter wurde als Trost in einem offiziellen Beileidsbrief mitge-
teilt, dass auch sie „einen Sohn zum Ruhme Großdeutschlands opfern“ durfte –
die seinerzeitige Propaganda schrieb es so vor.
Herr S.O. stellte dann das Ersuchen auf Rückziehung von der Front als „letzter
Sohn“ zur Wehrmachts-Ortskommandatur in Helsinki. Dort konnte Herr S.O.
das Leben und Treiben in der Etappe in all seinen Höhen und Tiefen hautnah bis
Dezember 1944 erleben. Er kam zunächst zum Lehrgang für aktive Offiziere
nach Posen, dann zur Hochgebirgsausbildung nach Mittenwald und schließlich
nach Courmaiore im Aostatal, am Ostfuß des Mont Blanc.
Das nächste Einsatzgebiet war im Jahre 1944 in den Westalpen, der Raum um
den Kleinen St. Bernhard, doch schon im Winter 1944/45 war eine Einsatz im
Apennin wichtiger. Herr S.O. führte den Rest seiner Kompanie – von den 4.000
Mann waren 400 übriggeblieben – in bis zu 25 km langen und gefährlichen
Nachtmärschen vorbei an amerikanischen Fallschirmjägern und Panzereinhei-
ten wie auch Partisanen durch die Po-Ebene und die engen Gebirgstäler bis
nach Salurn-Auer.
Herr S.O. war mehrfach dekoriert: Für seine schweren Verletzungen und den
Einsatz an der Skandinavien-Front erhielt er Verwundetenabzeichen und das
Eiserne Kreuz 2. Klasse, in der englischen Gefangenschaft für seinen Einsatz
bei der Rückführung der verstreuten Kompanie das Eiserne Kreuz 1. Klasse
und nachträglich die Beförderung zum Oberleutnant.
Nach dem totalen Zusammenbruch kam Herr S.O. in die britische Gefangen-
schaft nach Cesenatico bei Rimini, wo er schon im Herbst 1945 in die ebenfalls
von den Briten besetzte Zone in Österreich entlassen wurde: In einem Vieh-
waggon ging es ohne Verpflegung über Klagenfurt nach St. Marein im Mürztal,
wo das Entlassungslager der Engländer stand.
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Title
- Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
- Subtitle
- Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Author
- Othmar Nestroy
- Editor
- Technischen Universität Graz
- Publisher
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-741-0
- Size
- 20.0 x 25.0 cm
- Pages
- 120
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einstimmung 8
- Einleitung 11
- Politische Propaganda 13
- Spiel und Sport 19
- Der Krieg wird spürbar 23
- Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
- Privater und öffentlicher Verkehr 32
- Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
- Der totale Krieg beginnt 47
- Die Front rückt näher 57
- Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
- Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
- Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
- Nachklang 93
- Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
- Ausklang 115