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RÜCKZUG IN DIE
KUNST260 2 Vgl. Wehler 1987, S.
236ff.
Doch diesen Sieg hatten die Könige nur dank einer erstarkenden gesellschaft-
lichen Schicht erreichen können, die, vom Geist der Aufklärung beseelt und von
der Französischen Revolution dynamisiert, durch die sozialen Reformen Napolé-
ons gewachsen war und die in ihrem patriotischen Eifer Napoléons selbstherrli-
ches System jetzt wieder zu Fall gebracht hatte : Das Bürgertum bezog sich nicht
auf Geburt und Stand, sondern machte Bildungserfahrungen, Leistungsnormen,
und moralische Verhaltensregeln zum Maß der Dinge. Es strebte nach einer Ge-
sellschaft rechtlich gleicher, durch Bildung und Besitz ausgezeichneter, im Wirt-
schaftsleben frei konkurrierender, besitzindividualistischer, politisch handlungsfä-
higer Bürger, die nach einem vernünftigen Gemeinwohl strebten2. Das Bürgertum
trat für die Abschaffung der segmentierten Standesordnung ein, an deren Spitze
sich Nikolaus gerade gestellt hatte. Sie hatten in den Jahren nach 1800 Nikolaus als
Bankiers, Fabrikanten, Berater und Handelsleute gedient und dem Fürsten damit
vielfältige Vorteile gebracht. Sie hatten aber auch moralischen Druck ausgelöst, mit
dem der öffentlich mit seiner Mätresse auftretende Nikolaus in Konflikt gekommen
war. Auch auf die von den Bürgern initiierte Bildungsdebatte hatte Nikolaus mode-
beflissen – von seinen bürgerlichen Beratern maßgeblich beeinflusst – reagiert, als
er seine Laxenburger Galerie zaghaft der bürgerlichen Bildungselite öffnete.
Wie würde Nikolaus auf die bevorstehenden Herausforderungen reagieren ? Wie
würde er sich auf die Neuordnung Europas auf dem bevorstehenden Wiener Kon-
gress einbringen, um auch seine fürstliche Macht zu restaurieren ? Wie würde der
Fürst, der als Inhaber des sog. Herrenstuhls Todesurteile über seine Untertanen
sprechen konnte, mit Forderungen nach republikanischer Rechtsstaatlichkeit um-
gehen ? Wie würde er das Ehedilemma mit seiner ungeliebten fürstlichen Frau und
seiner nicht standesgemäßen Geliebten lösen, die er in der Öffentlichkeit präsen-
tierte ? Wie würde der ständisch denkende Nikolaus auf die national-patriotische
Begeisterung reagieren ? Würde er den Zeitenwandel auch für sich nutzen können,
um für die Majoratsverwaltung und seine gesellschaftliche Stellung wiederum neue
Wege zu suchen ? – Vielleicht konnte die Kunst, die zeit seines bisherigen Lebens
das wichtigste Mittel seiner nach Macht strebenden Repräsentation war, neue Mo-
tivation und Lösungsmöglichkeiten bieten.
1. Sonne statt Wiener Kongress
Nachdem sich Fürst Nikolaus II. seit 1813 aus der Öffentlichkeit zurückgezogen
hatte, schien die Kunst letztes Refugium seiner Leidenschaften und Energien zu
bleiben. Denn nach nicht einmal einem Jahr des sparsamen Haushaltens begann er
im April 1814 neue Ideen für seine Kunstsammlung zu entwickeln. Statt die Majo-
ratsverwaltung zu reformieren oder die Wirtschaftsführung zu überdenken, überließ
er das ungeliebte administrative Feld anderen und flüchtete in Kunst und Sonne.
Ungeachtet seiner finanziellen Möglichkeiten begann er wieder mit neuen An-
käufen für die Bibliothek und die Grafiksammlung. Während sich in Paris und
später in London als Gäste von Prinzregent George (IV.) die siegreichen Regenten
von Preußen, Österreich und Russland zusammenfanden, um einen Friedenskon-
gress vorzubereiten, bündelte Nikolaus II. von März bis Juni 1814 seine bisherigen
Sammlungen an einem Ort, der gleichzeitig sein privater Rückzugsplatz werden
sollte.
Nikolaus II. Esterházy und die Kunst
Biografie eines manischen Sammlers
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Nikolaus II. Esterházy und die Kunst
- Subtitle
- Biografie eines manischen Sammlers
- Author
- Stefan Körner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 2.0
- ISBN
- 978-3-205-78922-2
- Size
- 23.0 x 28.0 cm
- Pages
- 404
- Category
- Kunst und Kultur