Page - 288 - in Nikolaus II. Esterházy und die Kunst - Biografie eines manischen Sammlers
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RÜCKZUG IN DIE
KUNST288 152 Vgl. Grandesso 2003, S. 59, der eine Sammler-
konkurrenz Metternich-Esterházy erwähnt.
153 Vgl. zur 1839 begonnenen Sammlung Wilhelms
von 49 Skulpturen : Peschel 2010.
154 Villa Carlotta am Comer See, hier auch viele
Bildwerke der 1810er-Jahre (vgl. Mazzocca
1983).
155 Der Herzog übernahm weitgehend die Samm-
lung seiner Mutter Josephine, die er ins Palais
Leuchtenberg auf der Münchner Leopoldstraße
brachte (vgl. Markgraf 1846, S. 460–465).
156 Kaufte bei Canova nach Kaiserin Josephines
Vorbild die Grazien-Gruppe, ließ sich von
Thorvaldsen porträtieren, seine Kinder als Gra-
zien abbilden und publizierte 1822 seine Skulp-
turensammlung. Ab 1819 baute er den Temple
of Liberty als Weihetempel für Canova (vgl.
Angelicoussis 1992, S. 13). Besuch in Eisenstadt
im Oktober 1819 (vgl. Gästebuch Eisenstadt,
1819, in : OSK, Han, Quart.-Germ. 1023).
157 Zur Leopoldine auf einem Fels gesellte sich
Schadows Spinnerin, bei Thorvaldsen orderte
er gleichzeitig zwei Standfiguren. Die beiden
Venus-Gruppen waren liegende Schönheiten,
und auch alle Büsten wurden im Paar gekauft.
158 Vgl. Schemper-Sparholz 1997, S. 260.
159 Széchényi 1926, S. 239 (31. Januar 1822).
160 Vgl. Nikolaus II. an Johann Karner, Florenz,
17. Dezember 1819, in : MOL, FAE, P163,
Fasz. 51, Nr. 1181. Hier dürfte Nikolaus schon
eine Zeitlang gewesen sein, denn er kündigt
seine Abreise an.
Nikolaus stand zusammen mit dem Duke of Devonshire und Bankier Torlonia am
Beginn einer bisher einzigartigen europäischen Sammelleidenschaft für zeitgenös-
sische Skulpturen, die in seiner Nachfolge auch Metternich152 und den König von
Württemberg erfasste153 und in den 1820er-Jahren auch andere Sammler, wie Ban-
kier Gian Battista Sommariva (1760–1826)154, Eugène Beauharnais, Herzog von
Leuchtenberg (1781–1824)155, John Frances Russel, Duke of Bedford (1766–1839),
der 1819 Nikolaus in Wien und Eisenstadt besuchte156, Ludwig I. von Bayern
(1786–1868), Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1795–1861) und Nikolaus I. von
Russland (1796–1855), die die Mode bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts weiter-
führten.
Nikolaus war hiermit zum ersten Mal als avantgardistischer Sammler in Erschei-
nung getreten, wenngleich er das Skulptureninteresse nicht neu erfand, sondern
»nur« besonders schnell und instinktsicher ein neues Sammelgebiet erschlossen
hatte, wo zuvor meist nur Einzelwerke in Kunstsammlungen Eingang gefunden
hatten. Für seine Skulpturensammlung, die zum internationalen Vorbild für eine
junge kunstbeflissene Generation werden sollte, so vor allem seinen Freund, den
Herzog von Devonshire, legte er kennerhaft größten Wert auf Erstausführungen,
die die Nachfolgeausführungen, wie sie in den Sammlungen Metternichs und
Württembergs vorkommen sollten, an Qualität eindeutig übertrafen. Seine Samm-
lung band ästhetisch die unterschiedlichen zeitgenössischen Schönheitsbilder vom
klassischen Thorvaldsen über die frühromantischen Bildnisse Schadows, von der
bloßen Antikenkopie bis zu sehr persönlichen Porträtabbildungen seiner uneheli-
chen Kinder. Daran ist zu sehen, dass es Nikolaus nicht um ein bestimmtes Kunst-
und Schönheitsideal ging, worüber die Gelehrten dieser Jahre debattierten, sondern
um eine Kollektion der exklusiven, teuren und nur in geringer Auflage entstehen-
den Marmorwerke. Vielleicht ging es ihm sogar manchmal auch nur um ähnliche
Grundkörper, um die Figuren symmetrisch in einer damals erdachten Skulpturen-
galerie zu präsentieren157. Thematisch waren es meist junge Mädchen und Knaben
sowie Darstellungen der Venus, die Inbegriff der idealschönen Belezza158 war und
seine Leidenschaft für das schöne Geschlecht spiegelte. Für nördlich der Alpen
entstehende Bildwerke hingegen interessierte sich Nikolaus nicht. Er wollte ein
Stück Italien nach Wien holen und die Gemäldesammlung im Geist der idealisti-
schen Museumsidee ergänzen.
In seinem Sammlertum mischten sich also ganz private Vorlieben und modische
Strömungen, die er rasch, avantgardistisch, international handelnd zu übernehmen
wusste. Das Theoriewissen um die kunstphilosophischen Debatten hatten wohl
eher seine Berater. Mit seinem Eifer und seiner Liquidität wurde Nikolaus so zum
Vorbild einer neuen Mode, die sich schnell und lang anhaltend in Europa durch-
setzte. Um Széchényis Einschätzung des Fürsten einmal mehr anzuführen : Niko-
laus war ein »schneller Nachreiter«159, der mit seinen Mitteln sogar zum Vorreiter
von Modeströmungen werden konnte.
Es folgte nur ein kurzer Wien-Aufenthalt, bevor der Fürst bereits im Dezember
1819 wieder in Italien sein sollte, wo er in Florenz auch mit seiner Tochter Leo-
poldine und deren Töchtern zusammentraf 160. Wieder galt Nikolaus’ Interesse der
Skulptur, diesmal aber nicht mit neuen Bestellungen, sondern der publizistischen
Manifestation seines Sammlerfleißes.
So versprach der Fürst Ende des Jahres 1819 vollmundig, sich an der vom Frank-
furter Buchhändler Johann Friedrich Wenner initiierten Herausgabe der Bas reliefs des
Nikolaus II. Esterházy und die Kunst
Biografie eines manischen Sammlers
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Nikolaus II. Esterházy und die Kunst
- Subtitle
- Biografie eines manischen Sammlers
- Author
- Stefan Körner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 2.0
- ISBN
- 978-3-205-78922-2
- Size
- 23.0 x 28.0 cm
- Pages
- 404
- Category
- Kunst und Kultur