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FAZIT 371
3 Verweis auf das Bonmot von Charles de Ligne
»le congrès danse, mais il ne marche pas«, mit
dem er die Schwerfälligkeit der Verhandlungen
auf dem Wiener Kongress andeutete.
4 Dies gilt ebenso für den ungarischen Adel, der
durch den weitgehenden Rückzug der habsbur-
gischen Staatsgewalt die patrimonialen Auf-
gaben lange fast komplett allein ausgeübt und
damit eine in Europa einzigartige Machtstellung
aufgewiesen hatte (vgl. Press 1988, S. 7. 4. Auch die Restauration des Wiener Kongresses erneuerte die Adelswelt in Europa
nicht mehr, wenngleich sie die Könige wieder inthronisierte. Nikolaus II. ahnte
dies unbewusst und kehrte dem auf der Stelle stehenden Feiern des Kongresses3
wortwörtlich und daraufhin im übertragenen Sinne der Öffentlichkeit den Rücken.
Mit dem unaufhaltsamen Aufstieg einer sich entwickelnden Bürgerelite nahm auch
Fürst Nikolaus II. ab 1814/15 die allgemeine hochadelige Defensivposition inner-
halb der Gesellschaft ein.
Denn wie seine Standesgeneration hielt er in der historischen Phase von Bieder-
meier und Vormärz statisch an den grundherrlichen Privilegien fest. Eine neue mo-
derne Haltung, deren Grundlage der rationale Zugriff auf Leben und Ehe, Natur
und Landschaft, Gesellschaft und Kommunikation umfasste, berührte ihn wie die
Emanzipation des freien Willens nicht. Man zog sich in archaisch-aristokratische
Tätigkeiten, wie die Jagd, das Reisen unter südlicher Sonne und das Landleben fern
der Metropolen, zurück. Diese adelige Flucht verstellte – auch dem Esterházy-
Fürsten – die Möglichkeiten einer progressiven Anpassung an eine frühindustrielle
Ökonomie und damit neue Einnahmequellen der zusehends ruinierten Majorats-
finanzen.
Die Kunst diente dem Fürsten jetzt als Refugium des demonstrativ-hoffnungs-
vollen Rückzugs. Mit den neuen Sammlungen von Skulpturen und spanischen
Meistern waren Nikolaus und seine Berater sogar avantgardistische Vorreiter einer
Geschmacksentwicklung. Ein nach neuesten Sammlungskonzeptionen zusammen-
gestelltes Museum seiner Schätze wurde so zum Demonstrationsobjekt idealisti-
schen Mäzenatentums. Auch der Fürst wollte glauben machen – oder glaubte es
womöglich selbst –, dass die alte Elite so ihre Daseinsberechtigung als kulturelles
Gewissen der aufkommenden bürgerlichen Gesellschaft finden könnte. Deren Na-
tionalpatriotismus blieb dem alternden Fürsten als polyglottem »Grand-Seigneur
einer alten Zeit« jedoch vollkommen fremd.
5. Kurz vor der bürgerlichen Revolution von 1848, mitten im später so genannten
Vormärz, starb Nikolaus II. und gleichzeitig mit ihm eine tausendjährige Adels-
kultur in Europa, an deren Spitze er vor zwanzig Jahren kräfteverzehrend gelangt
war.
In den letzten Lebensjahren hatte der unbelehrbare und von seiner Umwelt ge-
demütigte Fürst und Standesvertreter alten Zuschnitts in der Ahnung des Bedeu-
tungsverlustes seiner so lang existierenden Kulturschicht noch mit fast gehässiger
Gewalt seinen ständischen und persönlichen Zusammenhalt als auch die mora-
lischen und ökonomischen Grundlagen seiner Familie ruiniert. Auch im persön-
lichen Abstieg blieb Nikolaus II., wie viele andere alte Familien, ostentativ den
Superlativen beim Gestalten und künstlerischen Verändern verpflichtet. Seine In-
novationsfähigkeit hatte auch er jedoch verloren.
Wegen dieses prinzipiellen Verlusts der Daseinsberechtigung der Hocharistokra-
tie fand die Adelswelt letztendlich in den bürgerlichen Revolutionen von 1848/49
die für sie ausschlaggebende evolutionäre Katastrophe.4
Die lebenslange Suche von Fürst Nikolaus II. Esterházy nach Aufstiegs- und
Überlebensstrategien seines Hauses und innerhalb seines hochadeligen Standes war
selbstverständliche Verpflichtung. Sein freier Wille galt innerhalb dieses Grund-
satzes nichts, denn er war im Selbstbewusstsein der Auserwähltheit als Glied einer
Kette erzogen worden. Daran konnte auch die Zeit der Aufklärung und der Fran-
Nikolaus II. Esterházy und die Kunst
Biografie eines manischen Sammlers
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Nikolaus II. Esterházy und die Kunst
- Subtitle
- Biografie eines manischen Sammlers
- Author
- Stefan Körner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 2.0
- ISBN
- 978-3-205-78922-2
- Size
- 23.0 x 28.0 cm
- Pages
- 404
- Category
- Kunst und Kultur