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Mit den Mitteln der Disziplin
Tätigkeit im Unterrichtsministerium zurück, manche hielten sich seit der Studienzeit
der beiden bei den renommierten Vertretern der „Wiener Schule“. Die wichtigsten
beruflichen Ansprechpartner kommen jedoch aus den Museen. Die Arbeiten an den
Katalogwerken haben geholfen, dieses Netzwerk zu festigen. In den diversen Häusern
zeigt man sich entgegenkommend, das Arbeiten wird ihnen leicht gemacht („Die
Leute sind wirklich ganz besonders freundlich. Das Herz tut mir weh, wenn ich an d.
Betrieb denk, an d. Ton, wie er jetzt bei uns in d. Albertina herrscht. Die mißtrauische
Feindseligkeit, oder Wurschtigkeit des Beamtentums“). Im Zuge ihrer Recherchen
in Museen und Privatsammlungen treffen Tietzes auf alte Bekannte aus dem Deut-
schen Reich. Sammler, die sich in der Schweiz und in Holland niedergelassen haben,
Vertreter von Universitäten, Museen und Galerien, die gezwungen waren, das Land
zu verlassen. Nicht wenige dieser vertriebenen Kunstfachleute sind nun im Kunst-
handel tätig. 1937 teilt man noch kein gemeinsames Schicksal, die Perspektive ist
eine andere. Erica Tietze-Conrat zeichnet Miniaturen von Begegnungen, die immer
auf Augenhöhe stattfinden.11 Die Tagebücher liefern seltene Einblicke in die Zusam-
menarbeit von Museumsbeamten, Sammlern, Privatgelehrten, Händlern und Künst-
lern in der Zeit unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg. Fachkundige Leser werden
die Wege konkreter Bilder verfolgen können.
Die ständigen Ortswechsel geben ein verdichtetes Bild des zerfallenden Europas.
Alles scheint im Fluss
– die politischen Grenzen, die Sammlungen mit ihren Massen
an Kunstwerken, Sehenswürdigkeiten und zum Bild gefasste Landschaften. Während
alte Strukturen zusammenbrechen, werden Tietzes gleichzeitig Zeugen von Neu-
anfängen, zu denen häufig die Fluchtbewegung Anstoß gegeben hat. Zu den Ins-
titutionen, deren Entstehen Erica Tietze-Conrat in ihren Aufzeichnungen bezeugt,
gehören etwa das „Rijksinstituut voor Kunsthistorische Documentatie“, die Ansied-
lung der Bibliothek Warburg in London, die Etablierung des Courtauld-Instituts mit
den entsprechenden Geburtsschwierigkeiten sowie die Anfänge der Fotosammlung
Walter Gernsheim oder auch von Musikfestspielen in der Schweiz und in Großbri-
tannien.
Bereits in den frühen Tagebüchern fiel Erica Tietze-Conrats Schweigen zu den
politischen Verhältnissen auf. Und doch kann man ihre Notizen keinesfalls als unpo-
litisch bezeichnen. Vier Jahre austrofaschistische Diktatur liegen bereits hinter ihnen.
Wortlos war man genötigt gewesen, sich mit so vielem abzufinden, das offensichtlich
der eigenen Einstellung zuwiderlief. Stets galt es, Haltung zu wahren („Wir benah-
men uns zurückhaltend u. heiter verächtlich“). Die Bedrohung ist unmittelbar („Die
Listen jener Menschen, die nach dem verabredeten Zeichen umzubringen wären,
seien fertig …“), und so richten sich die Worte an die gefährdete Tochter („Burgl in
polizeil[icher] Untersuchung !“), die von Anfang an auf Widerstand setzte. Einen Wi-
derstand, an den Tietzes in dieser Form nicht glauben mögen („So lebt man immer
ein Doppelleben – Burgl !“). Italien ist „trotz alldem – fascismo“ zur zweiten Heimat
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 346
- Category
- Biographien