Page - 31 - in Erica Tietze-Conrat - Tagebücher, Volume II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
Image of the Page - 31 -
Text of the Page - 31 -
31
Tagebuch 1937/1
nicht direkt angehen, notiert u. skizziert. Dann ein Höschen gekauft u. M. Vallotton
gesucht. Die Adresse im Telephonbuch führte uns an d. Grenze d. Stadt in eine schön
gelegene Villa, in der die Gattin ganz alleine hauste u. uns empfing. Wir sahen Bilder
(des Onkels) ohne Ende u. zum Auswachsen u. fuhren dann in d. Stadtgeschäft, wo
es [ein] paar nette Sachen von Zeitgenossen Vallottons u. andern frühen Franzosen
mit Kunsthändlergesprächen dazu gab. Unsre bei Cook besorgte Karte erwies sich
leider nachträglich als idiotisch zusammengestellt, so daß wir überhaupt nicht nach
Besançon (wohin wir wollten), sondern morgen um 10 (wenn alles gut geht) nach Di-
jon kommen werden. Das Wartezimmer in Verrière, wo wir 1 ½ Stunden Aufenthalt
haben, bevor es nach Pontarlier (Grenzstation schon Frankreich), wo wir übernachten
wollen, weitergeht, ist reinlich aber stark überheizt. Die unfreiwillige Muße ist für die
Nerven sehr gut.
–16
27. [April]
Die Nacht in Pontarlier, Hôtel de la Poste et du Télégr[aphe], empfohlen vom Eisen-
bahner Edouard (mit Gruß an d. Patron) war eindrucksvoll. Ein Appartement mit
ungemein ausgedehnten Zimmern, in meinem eine Tapete in Schwarz u. Gold, eine
dekorative Nische mit Palmentopf, ein exprès gebauter Wandpfeiler, darauf ein Bron-
zehund (lebensgroß) u. irgendwo auf d. Erde, an eine Wand gelehnt ein gestickter
Polster mit einem Papagei – kurz d. realisierte Songe de Luxe eines Porteurs, der
unser Wirt – Mitteilung Edouards – bis vor Kurzem war. Trotz allem Warmwasser
u. Bidet etc. Pontarlier liegt 850 m hoch u. in d. Früh hat es geschneit. Nach ei-
ner angenehmen Fahrt waren wir um 10 in Dijon, wo es dann merklich wärmer war.
Das Museum hat 54 Säle u. vier neue wurden gerade gebaut. Es vermehrt sich auf d.
Wege d. Stiftungen. Es gibt unendlich viel Bilder hier u. ein paar sehr gute Skulptu-
ren, aber alles hängt wie gespendet, es ist vollkommen unübersichtlich. Drei Räume
mit Zeichnungen ; nicht viel was uns angeht. Die S[amm]l[un]g His de la Salle hat
noch ein paar gute Blätter hier, eine Tillien zugeschriebne Landsch[aft] mit Hirte u.
Nackter ? Hirte ?, haben wir gar nicht notiert, sicher nur bologn[esische] Nachempfin-
d[un]g. Unter den anderen Blättern zwei, die in das von Winkl[er] publiz[ierte]
Skizz[en]buch um 1500 gehören u. eine kuriose Grau-in-Grau Pinselzeichn[ung]
„Préparat[ion] pour un Triomphe“, florentin[isch] 15., ein junger Mann, der etwas
aufgesetzt bekommt, dabei Pferde in Boxen. Um 12 wurde zugemacht u. wir muss-
ten essen gehen ; das zog sich – echt franz[ösische] Provinz – fast zwei Stunden lang
hin. Hors d’ouvres, in Butter gebrat[ene] Fische, Endiv[ien] mit Käse u. Bechamel
in d. Gratinierschüssel, Lammcot[elette] mit Erdäpfel u. gefüllten Tomaten, Salat,
Käse, Obst, Vin compris. Und was für einer ! Da muß man zwecks Verdauung einen
Schwarzen trinken. Jetzt wiederum im Museum, das ist eine harte Nuß.
–17
Jetzt im Zug 2 Stunden vor Paris. Vis-à-vis liegt einer u. schläft seit Lyon – ein
Arm hängt ihm starr weg, bei d. Station greift Hans nach seinem Puls u. niemand
back to the
book Erica Tietze-Conrat - Tagebücher, Volume II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)"
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 346
- Category
- Biographien