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Tagebuch 1937/2
eben säßen „Museumsdirektoren“ in seinem Studio u. kramten in seinen Photos u.
Z[eich nun g]en, (wir nehmen an es war Parker, der vor uns Colnaghi verlassen hatte),
er wolle uns schöne Venezianer zeigen, Tintorettos, eine große Komposit[ion] von
Giorgione (er zählte sie eigentlich als fünfte u. a. auf !) und ähnliches. Hans war
über d. Erscheinung d. Mannes so aus allen Himmeln gefallen, daß er einfach nur
lachen konnte u. kein Wort herausbrachte
…19
Das war schließlich das Ende unserer Erkundungsfahrt ; wir fuhren heim u. fanden
einen lieben armen Brief von B[urgl] u. einen positiven von Stoffel vor. Danach an-
scheinend Spanien-S[amm]l[un]g u. sitzen müssen bis Ende Sept[ember] ! Trotz und
trotzalledem ein Gefühl d. Beruhigung (!) über diese Nachricht. Beweis dafür, was wir
nicht alles Schwereres gefürchtet hatten !20
30. [Mai]
Sonntag. Unser erster Sonntag in London. Ich zog einen schwarzen Rock u. eine
weiße Crepe de Ch[ine] Blouse an u. komme mir damit sehr kirchenersatzmä-
ßig vor. Für uns ist es aber ein richtiger Sonntag, wenigstens Sonntagvormittag,
denn wir wollen zuhause bleiben, ich sitze im Garten, der ja eigentlich unser al-
leiniger Garten ist, wenn ich von Tops dem Hund und ? dem Kater absehe. Ges-
tern sind wir im Brit[ish] Mus[eum] mit dem letzten Tintorettoblatt u. d. letzten
Palma G[iovane] Zeichn[ung] in d. Extraband in d. letzten Minute pünktlich
fertig geworden. Diese Art, ein einmal vorgenommenes Wochenprogramm tat-
sächlich zu erledigen, ist Hans’ Werk u. daß ich nicht ausspringe, seine Energie-
übertragung. Ich wäre längst irgendwohin abgeschweift, wenn ich allein gewesen
wäre. Jetzt haben wir eigentlich d. Hauptstock „aufgenommen“, manches auch
schon photogr[aphiert], fehlen noch die 2. Garnitur u. Großformate, das „Ausge-
stellte“, das auch noch fehlt, ist so außerordentlich, daß wir es in Faksimiles ei-
gentlich schon kennen, es also da keine Überraschungen geben wird. Die ominöse
Farbskizzens[amm]l[un]g, die von Hadeln dem Do[menico] Tint[oretto] zugeschrie-
ben wurde, liegt uns als unverdauter Bissen im Magen. Dutzende von Kompositi-
onen immer zusammengehörig u. lauter Varianten u. zu keiner einzigen ein Bild
erhalten ! Z[um] T[eil] Kompositionen, wie sie sich überhaupt nur hinter den Ku-
lissen der sonstigen Thematik abgespielt haben werden. Daß es aber derartiges Hin-
ter-d.-Kulissen gab, bezeugen diese Skizzen (rein technisch auch Unika in ihren
Abbreviaturen), die es absolut unmöglich ist als moderne „Variation venezianischer
Themen“ abzutun ; ihr Pedegree ist zu gut
…21
Als wir um ¾ 5 in d. Oxford Street hinauskamen, war sie so leer, daß sie sich wie-
derum nicht ähnlich sah (eine Erinnerung an einen Samstag meines letzten Aufent-
halts). Wir fuhren nach Liverpool Street und fanden dann mit großer Mühe hinauf
u. hinunter über Bridges […] unseren Zug nach Gidea Park. Man fährt durch East,
nicht sehr schöne Gegend, ist aber bald vor endlosem Garten, der sich als Friedhof
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 346
- Category
- Biographien