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Tagebuch 1937/2
Landschaft rechts ein erstes ersehntes Sichhingeben an d. Natur. Ist das ein Fest ! Das
Lebensalterbild daneben sieht aus wie in einem blinden Spiegel ertrunken – man
kann gar nichts darüber sagen, weil es alles
– vielleicht
– noch heraus kommen müßte,
wenns einer erst reinigen wird. Das (zweite) Kallistobild ist nicht so überraschend wie
sein Pendant, wirklich alte Konzeption noch in neuer Farbe. Die Landschaft l[inks]
erinnert stärker an d. Hügel vom „Fluteur“, als ichs in Erinnerung hatte. Schön auch
ein Lottobild mit einer ganz dürerisch-getüftelten Landschaft mit 2 Staffage[n]
(Hirte u. Holzträger) und ein früher Palma. Ein anderer Palma Vecchio hat eine so
späte Ruinengeschichte, daß es von 1528 unmöglich ist.
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11. [Juni]
(Ich fahre jetzt am 11. abends um 6h in meinem Gärtchen fort). Im Bridgewater
House war noch ein junger Amerikaner geführt von einem Händler namens Durla-
cher, der eigentlich nur wegen eines gleichfalls gerade gereinigten Rembrandt (das
Selbstporträt – erschütternd !) da war. Wir verabredeten einen Besuch gleich nach 5,
er wollte uns mehreres uns Interessierendes zeigen. Wir enteilten zurück zu Harris
(The Span[ish] Gall[ery]), wo wir unsere Tintorettobesicht[igung] wieder aufnahmen
und noch d. Photoalbum durchsahen u. mehrere Abzüge versprochen bekamen, von
anderem nur den gegenwärtigen Standort zu tracieren erbaten. Es ist uns diese ganze
Kunsthändlerei einfach rätselhaft : Wir finden meistens bei d. Händlern Blätter, die
diese bei anderen Händlern gekauft hatten. Sind Zeichnungen so etwas wie kleine
Geldeinheiten, die sie zum Austarieren ihrer Bildertauschlerein gebrauchen ? Wird
jemals ein Gegenstand wirklich verkauft ? Immer nur herumgeschoben ?
…43
Es war schon fast zwei, als wir ins Printroom kamen, wo Hans ein Dutzend Pho-
tos aufnahm (darunter auch d. merkwürdige Z[eichnung], die wir von Agnew dazu
erbeten hatten (Jakob im Gefängnis)[)]. Und immer sind noch so viele Blätter üb-
rig, die photogr[aphiert] werden müssen ! Dann schwer beladen mit Regenschirm u.
Mantel, grimmig u. verspätet zu Durlacher – der nicht da war. Wieso ? Wir hatten
uns doch bei Lord Ellesmere – – – ? Er war nicht dort gewesen – unmöglich ! Ein
Mißverständnis. Wir beschrieben unseren Durlacher – nein, der richtige ist an old
rather shaky man. Hans hat Ahnungen, er ruft bei Agnew an
– siehe da, dort werden
wir wieder erwartet. Der falsche Durlacher entpuppt sich als der junge Mann von
Agnew ; der allerdings sehr ähnlich heißt und durch das typische Auftreten eines
„Jungen Mannes“ (alles per „Ich“ habe … „Ich“ werde ihnen zeigen) so selbständig
wirkte. Wir gingen zu Agnew, wo uns diesmal der ältere Eigentümer d. Firma emp-
fing u. einen Tizian zeigte (der Jüngere unlängst war auch in den Bildern, die er vor-
führte, ganz auf Tintoretto eingestellt). Es war ein von Lionello Venturi gesichertes
Porträt des Navigero, Profil (fast scharf) nach l[inks] mit prachtvollem Oberkopf, aber
etwas schütterem Bart u. vor allem schütterem Körper. Immerhin ein ernstes u. schö-
nes Bild. Es ist
– bez[iehungsweise] muß sein
– aus dem 4. Jahrzehnt, also aus d. Zeit,
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 346
- Category
- Biographien