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Tagebuch 1937/2
Great War im Hyde Park empfing. Der Park war darum für d. übrige Publikum ge-
sperrt, aber alle Zufahrtsstraßen waren dicht mit Zuschauern umsäumt, die den Kö-
nig oder die befahnten u. mit Orden geschmückten „men“ sehen wollten. Trotzdem
hatten wir reichlich Platz im Koupé
…
N. B.: Wir haben bei Pamela ein ausgeliehenes Buch abgegeben : d. Großmutter ist
richtig vor drei Tagen gestorben. Und noch einmal N. B.: Natürlich haben wir unsren
Hausschlüssel von Holland Road 39 abzugeben vergessen !
–
Wir kamen gegen ½ 10 abends an, es war kaum finster, die Straße so nett leer, die
Häuserfronten so gutmütige Gesichter – Kleinstadt. Und was so viel mehr ist alte,
ganz alte Kleinstadt. Es ist sehr einfach, aber das Bad war gut u. so viel Hänge- und
Legemöglichkeiten in den zwei Räumen unseres Appartements, daß man fast ver-
lockt wird ganz auszupacken. Trotz alle Versprechungen einer guten Nacht nahm
ich doch lieber ein Schlafmittel, um mir d. Bekanntschaft mit dem neuen Bett zu
erleichtern
…
Heute früh gingen wir erst spazieren – man sieht nur mehr sehr wenig Studenten,
die meisten sind schon in d. Ferien, nur wer noch für Prüfungen zu lernen hat, ist
noch hier geblieben. Die Zeichnungen bei Parker waren nicht zahlreich, aber gut.
Er hat sicher Qualitätsgefühl u. kauft gut – u. billig. Den neuen Dürer (von dem d.
Berliner den Abklatsch hatten) hat er in einem Trödelladen in Oxford gefunden, wo
er seit 10 Jahren in d. Auslage war ! Am Nachmittag hat Hans photographiert u. dann
haben wir uns noch deutsche Zeichnungen angesehen. Die Raffaels u. Michelange-
los, von denen ein Teil gerade ausgestellt, sind gewiß die besten ! Er nahm uns dann
zum Tee mit, wo wir erst den jungen Hund u. dann d. Frau kennen lernten. Beide
mischten sich stark in unsere Unterhaltung, die sich
– wie sich mit d. Editor d. O[ld]
M[aster] D[rawings] versteht
– ausschließlich um Z[eichnung]en drehte. Vom Hund
ließen wir es uns nicht gefallen, der Frau aber gaben wir nach, es ist auch wirklich
eine nette Frau. Nur so unsubstantial, es ist unbegreiflich, wie wenig an so einer Eng-
länderin dran ist, wenn sie mager ist. Kein Fleisch, aber auch keine Bliner. Die Däm-
merungsstunde, d. h. die Stunde vor dem drohenden Regen, die so lichtschwach war,
als wäre es d. Dämmerung schon, brachten wir im Worcester College Park zu, ganz
nah, abwechslungsreich mit Wiese u. Bäumen u. bunten Blumensäumen und Teichen.
In den Teichen allerhand Wasservögel ; am stehenden Wasser auch die hineingetupf-
ten Flecke der Seerosenblätter. Wir nahmen das Dinner im Hôtel.78
29. [Juni]
Heut nur ein kurzer Bericht. Wir haben tagsüber in Christ Church gearbeitet, gut
gearbeitet – gefroren, gut gefroren. Bei tiefblauem Himmel aufgestanden u. dann
Wettersturz über Wettersturz. Die Folge : so ein schönes grünes Land. Wir haben
es nach Arbeitsschluß zuerst im St. John’s College, dann – nach 6, da schließen die
Colleges – in d. University Gardens genossen. In Christ Church ist wirklich eine in-
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 346
- Category
- Biographien