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Tagebuch 1937/2
Schließlich nur Wiese u. Baumgruppen, endlos, als ginge der Park, ohne daß mans
weiß, einfach in die Insel über. Richtig waren d. Kühe auch da und wir machten kehrt.
Zum Abendtee (½ 7) hatten wir d. richtigen Hunger. Der einzige Schatten über d.
Tag war das Aprés-le-souper bei Mahr. Das war auch danach u. noch dazu unter d.
Bilde Hitlers an d. Wand u. mit versäumter letzter Tram. Ich war grimmig und böse
über Hans, daß es dazu kam.
Was soll ich noch sagen – Daß es auch heute nicht besser ist. Unausgeschlafen –
(vor dem Packen u. Dinner ; sehr beruhigt, da ein Brief von zuhause gekommen ist :
Anderl hat ein Gripperl gehabt, anscheinend unbedeutend u. vorbei). Wir haben den
heutigen Tag, an dem es fast ohne Unterbrechung goß (jetzt wird’s blau, denn ein
Wind hat eingesetzt, was in Anbetracht der Seefahrt auch nicht das Richtige ist)
ganz gut verbracht. Im Museum haben wir – allein – das richtig Irische nachge-
holt. In d. Galerie mit Direktor Furlong die Depotbilder angesehen : einen sehr gu-
ten sign[ierten] Ping von 1548, der einen 28jährigen (oder 1546 oder 26jähr[igen])
Bildhauer darstellt (der um gut 15/20 Jahre älter aussah) ; der hält ein Grupperl
– El-
fenbein ? – in der Hand. Faun u. Nymphe mit Halbmond (Diana ?), beide sitzend, er
aggressiv, sie abwehrend. Ferner ein dem Olivieri zugeschr[iebenes] großes Breitbild
Mad[onna] + K[ind] thronend mit sehr interess[anten] großen sitzenden Musikengel
an d. Seiten wie Dürers Chantillyzeichn[ung] (wir haben d. Photo bekommen).86
Am Nachmittag (d. h. um ½ 3, wir haben 2 Bananen u. ein bisserl Chokolade im
Taxi gegessen) fuhren wir in eine Privatsamml[ung] am Rande d. Stadt : Father Shine
(24 St. Kevin’s Park). Dieser Geistliche – Philos[oph] von Beruf – hat d. ganze Haus
voll Bildern, die er aus Quellen, die sein Geheimnis sind (I never say, where I buy),
zusammenkauft. Das meiste ist unbenennbare Unterware. Einiges kunsthistor[isch]
interessant : eine Anbetung von Fra Bartol[ommeo], die knapp 1930 im Pantheon
publiz[iert]. Eine Maria + K[ind] aus d. Holford Collect[ion], dort als Rosso, jetzt
nach d. Reinigung eher Pontormo. Ein Bildchen aus d. spanischen Kriegen von ei-
nem Rembrandtnachahmer Fontyn, von dem überhaupt nur ein einziges Bild im
Rijksmuseum u. das eine Stilleben im Thieme/Becker verzeichnet ist. Am interes-
santesten ein großes Bild, das eine Signatur von Schidone u. d. Datum 1609 (d. neue
Leinwand undeutl[ich] übertragen zeigt u. unzweifelhaft d. Unterlage für Van Dycks
großes Altarbild in d. Augustinerkirche in Antwerpen ist. (Der hl. August[inus], d. hl.
Monika ; oben aber Gottvater ganz allein, sehr corregiesk der Mönch rechts kniet hat
lauter Sterne auf d. Gewand u. neben sich einen Teller, darauf ein Vogel). Kunsthis-
torisch sehr wichtig.
–87
6. [Juli] (Bahnhof Liverpool).
Der Aufbruch war sehr überhetzt. Die Folge, daß Hans d. Notizbuch und seine
Handschuhe beim Photograph vergessen u. – da er nur sukzessive darauf kam, nach
u. nach – darum schreiben mußte. Auf dem Boot hatten wir eine Protektionskabine
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 346
- Category
- Biographien