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Tagebuch 1937/3
22. [Juli]
Abends Torino, im Freien, auf Calama-
retti fritti wartend. Die 9. Grenze über-
standen. (Sie war ähnlich übel wie die
meisten auf dieser Reise : wir mußten,
obgleich wir in einem direkten Wagen
saßen, mit d. ganzen Gepäck ausstei-
gen.) Aber ich habe noch von gestern zu
erzählen. Wir brachen am Nachmittag
auf u. gingen zuerst in Edels „Ausstel-
lung“ ; er hat wirklich große Fortschritte
gemacht. Seine kleine Freundin ist uns
beiden ausnehmend sympath[isch]. Wir
tranken noch Kaffee in d. Rotonde u.
fuhren dann per Taxi, mit Hängekof-
fer zu Floch. (Diesen soll Stoffel nach-
hause bringen). Die letzten Bilder (aus
Italien) waren sehr fein, aber doch schon
wie entseelt – oder nur Seele wie entkör-
perlicht ? Jedenfalls seltsam fragil, wie
gläserne Träume. Interessiert hat uns,
seine gemalten Landschaften mit den
Zeichnungen dazu u. von ihm selbst auf-
genommenen kleine Photos und – An-
sichtskarten zu vergleichen. Diese regen
ihn besonders an. Auf einer alten Ansichtskarte von Ventimiglia ist ein Paar von hin-
ten, das er genau (sogar mit d. Farben) u. an derselben Stelle ins Bild genommen hat !
Wir nachtmahlten zusammen u. fuhren dann in d. Louvre, wo wir d. Skulpt[uren] bei
künstlichem Licht sahen. Es war sehr voll u. in manchem Saal sogar mehrere Füh-
rungen zugleich im Gang. Die Nike ausgenommen, die lichtgetaucht gegen Schwarz
erscheint, wie d. verhaßte Zwischenakt im Kino, ist das elektr[ische] Licht eigentl[ich]
nur Tageslichtersatz. Es hat nichts mit d. Experimenten zu tun, die Goethe in d. Düs-
seldorfer Kunstkammer beschreibt. Floch war ausnehmend nett ; er erzählte von ei-
nem Traum, in dem ihm sein Vater erschien, der vor c. 30 Jahren †. Am nächsten mor-
gen habe er bei einer Kletterpartie den Stein aus d. Ring herausverloren, den er nach
d. Mutter Tod geerbt hat u. schon sein Vater getragen hat. Er ging d. Felsen zurück u.
fand d. Stein auf einem Grasbausch blinken. Seither hat er erst d. Gefühl, daß er mit
diesem Erbteil verwachsen ist
…23
Wir wollten noch Biertrinken u. ich schlug ein kleines leeres Lokal vor, an dem wir
gerade vorüberkamen. Hans wollte aber in ein betuchteres gehen, weil er in d. leeren
Abb. 43 : Ein Schreiben des Bildhauers Anton Hanak an „Hofrat
Tietze“.
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 346
- Category
- Biographien