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Tagebuch 1938/1
Bei der Bemerkung „So sahen die Freunde Feuerbach aus“ ist man auf Mutmaßungen und
mehr oder minder schlüssige Deutungsversuche angewiesen. Naheliegend wäre, dass ETC
den Maler Anselm Feuerbach (1829–1880) und dessen Freundschaften etwa mit Künstler-
kollegen im Auge hatte. In den bekannten Texten ETCs lässt sich jedoch kein Hinweis auf
ein besonderes Interesse an diesem Künstler finden.
Andererseits könnte sie beim Anblick des sozial engagierten Rudolf Freudenberg auch an
die unangepassten Weggefährten des freisinnigen Religionsphilosophen Ludwig Feuer-
bach (1804–1872) gedacht haben. Eine Reihe von Publikationen
– neben Leben und Werk
auch dem Briefverkehr des Philosophen gewidmet
– gibt höchst amüsanten Einblick in die
Geisteswelt revolutionärer, aber auch desillusionierter Kräfte im Deutschland der Zeit um
1848 (z. B. Bolin 1904). („Dr. Freudenberg was an extremly modest man who cloacked his
war and humerous sympathy with shy formality. Many who were charmed by his courtesy
stood in awe of him. But those who had the privilege of his friendship appreciated his broad
and liberal sentiments.“ [DB 1983.])
Nach einiger Recherche wird außerdem ersichtlich, dass im ersten Viertel des vergangenen
Jahrhunderts eine Flut von Veröffentlichungen zu den drei Generationen dieser ungewöhn-
lichen Gelehrten- und Künstlerfamilie auf dem Büchermarkt erschienen war. Dies dürfte
auch der Aufmerksamkeit der Tietzes nicht entgangen sein. Ausgehend von Veröffentli-
chungen zum Künstler Anselm Feuerbach
– einem Neffen Ludwigs
– wurde 1913 von dem
Verleger Georg Heinrich Meyer (1872–1931) gar ein eigener „Feuerbach-Verlag“ gegrün-
det, dessen Bestände nach und nach in den Kurt Wolff Verlag (!) übergingen (Göbel 1977,
696). Auch der von ETC geschätzte Literat Herbert Eulenberg (vgl. TB 1924, 8.1.) leistete
seinen Beitrag zum Feuerbach-Boom. 1924 veröffentlichte er Kurzporträts der bedeutends-
ten Familienmitglieder (Eulenberg 1924). Selbst in HTs „Bibliothek der Kunstgeschichte“
war ein Bändchen dem Maler Feuerbach gewidmet (Kuhn 1922).
Interessant ist schließlich auch, dass sowohl Leopold Zahn (Zahn 1940 ; TB 1925, 5.7.) als
auch Heinrich Bodmer (Bodmer 1942 ; TB 1938/1, 5.4.) sich während NS-Zeit und Welt-
krieg mit Veröffentlichungen zum Maler Feuerbach an das deutsche Publikum wandten.
Leopold Zahns Buch über Anselm Feuerbach ist ein durchaus auch heute noch lesenswer-
tes Werk der kunsthistorischen Biografik – mit einem bösen Blick auf Wien, vermutlich
sowohl aus der Perspektive Feuerbachs als auch jener Zahns. Anselm Feuerbach wird darin
allerdings als verzweifelter Einzelgänger geschildert (Zahn 1940). Waren also doch Ludwig
und seine revolutionären Freunde von 1848 gemeint ?
Fresken von Antonio Campi in der Kirche San Sigismondo, Cremona.
Yarborough Giorgione – TB 1937/2, 9.6.
28 Zwar ist somit bekannt, dass Any (Anny) Levy-Gutmann am Trafalgar Square residierte, zu
ihr selbst konnte jedoch nichts ausfindig gemacht werden.
„Nemes – Susanna“ – Tintoretto, Susanne und die beiden Alten, ehemals Sammlung Mar-
czell de Nemes (Hadeln 1922) ; zur Sammlung Nemes siehe Mayer 1911.
„The Doctor“ – Dr. Stella Churchill.
„Landscape with old nude man seated (Saint Jerome ?)“, Sammlung S. Schwarz, New York ;
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 346
- Category
- Biographien