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2 DerExistentialismusalsGegenstandder
Kulturtransferforschung
NachdemSartre es in seiner Rede auf demMoskauer „Weltkongress für allge-
meineAbrüstung undFrieden“ 1962 eingangs für „überflüssig“hält zu sagen,
was Kultur „selbst für den unkultiviertestenMenschen“ bedeutet, definiert er
sie schließlich als „das in ständiger Entwicklung befindliche Bewußtsein des
Menschen über sich selbst und dieWelt, in der er lebt, arbeitet und denkt.“1
Die den Kern dieses Kulturverständnisses bildende Wandelbarkeit – im Ein-
klang mit dem intentionalen, stets auf ein Objekt hin sich entwerfenden Be-
wusstsein der Sartreschen Existenzphilosophie (cf. Kap. 3.1) –wird auch die
Kulturtransferforschung zu einem ihrer Grundpfeilermachen. Die Theorie der
transferts culturels, einneuer Impuls, denMichelEspagneundMichaelWerner
der InterkulturalitätsforschungMitte der 1980er-Jahre amPariserCentre natio-
nal de la recherche scientifique (CNRS) geben, lässt sich durch die der Kultur
zugesprocheneVariabilität klar auf SeitendesAntiessentialismusverortenund
zählt zu den bedeutungsorientierten Kulturbegriffen.2 Sie fasst Kulturen nicht
als stabile Entitäten, sondern als provisorischeKonfigurationen („des configu-
rations provisoires“3), als „Verdichtungspunkt[e] von Sprachen, Ordnungen,
Diskursen oder Systemen“4, deren Gestalt durch vielfältige Interaktionenmit
anderenKulturenentsteht,also immerschonImportebeinhaltet.
Die Transferforschung fokussiert sich auf SpurendesAnderen in der eige-
nenKultur,wobeiden„GegensatzvonFremdemundEigenem“5 zuüberwinden
und Distanz abzubauen eine erklärte Aufgabe ist. Gerade in Zeiten des Um-
bruchs, in denen die Kategorien ‚eigen‘und ‚fremd‘über die Abgrenzung von
oder Identifikationmit anderen Kulturen neu abgesteckt werden, kommt der
1 Jean-Paul Sartre: Abrüstung der Kultur. In: Tagebuch 17 (1962), Nr. 8/9, S. 1, 16, hier S. 1.
[Zuerst:LaDémilitarisationde laculture:ExtraitdudiscoursàMoscoudevant leCongrèsmon-
dialpour ledésarmementgénéralet lapaix. In:France-Observateur, 17.07.1962.]
2 Zudiesemauf Ernst Cassirer zurückgehenden relationellenKulturverständnis, auf das sich
auch Pierre Bourdieu berufen wird, cf. Andreas Hütig: Dimensionen des Kulturbegriffs. In:
Kusberetal. (Hg.):HistorischeKulturwissenschaften.Positionen,PraktikenundPerspektiven.
Bielefeld2010,S. 105–124.
3 Espagne:LaNotionde transfert culturel,S.3.
4 GregorKokorz,HelgaMitterbauer:Einleitung. In:KokorzundMitterbauer (Hg.):Übergänge
undVerflechtungen. Kulturelle Transfers in Europa. (Wechselwirkungen 7.) Bern et al. 2004,
S.7–20,hierS. 10.
5 Michel Espagne: Die Rolle derMittler im Kulturtransfer. In: Lüsebrink et al. (Hg.): Kultur-
transfer imEpochenumbruch,S.309–329,hierS.312.
OpenAccess.©2021 JulianeWerner,publiziertvonWalterdeGruyter. DiesesWerk ist
lizensiertuntereinerCreativeCommonsNamensnennung4.0InternationalLizenz.
https://doi.org/10.1515/9783110683066-002
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur