Page - 29 - in Existentialismus in Österreich - Kultureller Transfer und literarische Resonanz
Image of the Page - 29 -
Text of the Page - 29 -
wesenhaftenNichtsderReichtumdesSeinssichverbirgt. IchgrüßeSiealsWeggenossenund
Wegbereiter. Ihr Martin Heidegger. Ihr Hauptwerk muß unbedingt ins Deutsche übersetzt
werden.53
Jahre bevor Sartre dieser Einladung vom 28. Oktober 1945 folgt, ist Heideggers
Enthusiasmusverflogen,erwendetsichab,alssichderExistentialismuszueiner
Modeerscheinungwandelt. 1950moniert er im französischenBesatzungsbulletin
fürÖsterreich,GeistigesFrankreich:„Sartre ist oft nachDeutschlandgekommen,
aber er hatmichnie besucht.“54 Vondem1945gelobten „sounmittelbarenVer-
stehen meiner Philosophie“ ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr viel übrig: In
einem 1949 in Österreich veröffentlichten Interview äußert Heidegger entgegen
der obigen F.A.Z.-Aussage, Sartre durchgearbeitet zu haben, „Sartre? Ich habe
ihnniegelesen“55,weißdannaberein Jahr später zuberichten:„Er ist einguter
Schriftsteller, aber er ist kein Philosoph.“56 Heideggers Position, das „Was-sein
(essentia)“ des Seienden müsse „aus seinem Sein (existentia) begriffen wer-
den“57, lasse sich nicht mit Sartres Auffassung, die Existenz gehe der Essenz
voraus („l’existence précède l’essence“), gleichsetzen, wie Heidegger im soge-
nanntenHumanismus-Brief an JeanBeaufret 1946deutlichmacht.Die erwähnte
SeinundZeit-PassagebereitedieAnalysedesDaseinsvor, ohneetwas„überdas
Verhältnisvonessentiaundexistentia“zusagen,habealsomitSartresmetaphy-
sischem Satz „nicht das geringste gemeinsam“; es sei erst nach der „Wahrheit
desSeins“zufragen,danach,„auswelchemSeinsgeschickdieseUnterscheidung
imSein als esse essentiae und esse existentiae vor dasDenken gelangt“58. Hei-
deggersDistanzierungistauchdadurchmotiviert,dassSartre ihn inseinemmas-
sentauglichenVortragL’Existentialisme est unhumanisme vom28.Oktober 1945
(dem Tag, auf den Heideggers briefliche Einladung Sartres datiert ist) zu den
ExistentialistInnenzählt, eineZuordnung, die verständlichwird,wennmanwie
53 MartinHeidegger:HeideggersBrief. In:HugoOtt: InderkleinenSkihüttezusammenphilo-
sophieren.MartinHeidegger begrüßt Jean-Paul Sartre alsWeggenossen undWegbereiter. In:
FrankfurterAllgemeineZeitung, 19.01.1994.
54 MartinHeidegger. In: o. V.: Gesprächmit Heidegger. In: Geistiges Frankreich, 13.11.1950.
Drei Jahre später, auf demRückweg vomWiener Völkerkongress (cf. Kap. 8.2), kommt es zu
diesem Treffen, das Sartre nach einer halben Stunde abbricht, nachdemHeidegger nur von
seinerEnttäuschungüberGabrielMarcelsKomödieLadimensionFlorestan spricht.Cf. Simone
deBeauvoir:LaForcedeschoses,Bd.2.Paris 1963,S. 22.
55 MartinHeidegger. In: Luce-Michèle: Heideggerweigert sich Sartre zu lesen, schwärmt je-
dochfürden„PetitPrince“vonSaint-Exupery. In:Kulturelles, 21.11.1949.
56 MartinHeidegger. In:o.V.:GesprächmitHeidegger. In:GeistigesFrankreich, 13.11.1950.
57 MartinHeidegger:SeinundZeit.Tübingen1993,S.42.
58 MartinHeidegger:ÜberdenHumanismus(1949).FrankfurtamMain 102000,S.20f.
3.1 Existentialismus:Entstehung,VertreterInnen,Tendenzen 29
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur