Page - 53 - in Existentialismus in Österreich - Kultureller Transfer und literarische Resonanz
Image of the Page - 53 -
Text of the Page - 53 -
(in vier von 36 Auslandsbulletins) zugunsten von Begriffenwie „Problem“ („pro-
blème“) oder„Klemme“ („impasse“) aus;dieses teils bis zurKarikaturpositiveÖs-
terreichbild erklärt sich Ute Weinmann als eine durch die eigene Verdrängung
bedingte selektive Rezeption, die Komplexität undWidersprüchlichkeit scheut.169
Auf demFundament der Opferthese erschafft Frankreich ein Verhältnis zuÖster-
reich, das eher geschwisterlich als vormundschaftlich ist; die französische Öster-
reichpolitik lässt, soThomasAngerer,BesatzungslandundBesatzungsmachtnicht
nur einander gegenüber, sondern teils nebeneinander stehen.170Vor allemdie Er-
fahrungdernationalsozialistischenHerrschafterwähntBarbaraPorpaczyindiesem
Lichtalsetwas,das„keineandereBesatzungsmachtmitÖsterreichteilte“171.Alther-
gebrachteGemeinsamkeiten,diedieSchnittmengeergänzenund–dalatent imna-
tionalen Gedächtnis vorhanden („déjà présent dans une mémoire nationale
latente“172)–auchdieBasis fürweitereKulturtransfersbilden, sindderKatholizis-
mus und ein Selbstverständnis als Kulturnationmit großer Vergangenheit. In sei-
nenSouvenirs françaisdansleTyrol resümiertRaouldeBrogliediesbezüglich:
Frankreich ist zweifellos dasjenige europäische Land,mit dem sich zu verständigen für
ÖsterreichundsomitauchfürTirolvonhöchsterBedeutungseinmüßte.Beidesindhoch-
zivilisierte Ländermit der gleichen geistigen Kultur. […] Wie Frankreich undÖsterreich
weithin denselben religiösen Glauben haben, so verbindet sie auch dasselbe politische
Ideal,dieselbeSorgeumdieAchtungundUnabhängigkeitdermenschlichenPerson,der-
selbeKult derwahrenDemokratie, deren großePrinzipien aus Frankreich stammenund
die indenHerzenderÖsterreicher ihrenWiderhallgefundenhaben.173
169 Cf. UteWeinmann:ÀPropos de l’image politique de l’Autriche en France. Le „problème
autrichien“ dans le journal LeMonde de 1945 à 1950. In: Lacheny und Laplénie (Hg.): „Au
nomdeGoethe!“HommageàGeraldStieg.Paris 2009,S. 79–90,hierS.90,82:„uneréception
sélective qui ne veut envisager ni complexité, ni contradiction: le basculement violent et dé-
mesuré de cette image trop souvent caricatural ressemble à une sorte de retour d’un refoulé
nonseulementautrichien,maisaussi français“.
170 Cf. Thomas Angerer: Der „bevormundete Vormund“: Die französische Besatzungsmacht
inÖsterreich. In:AlfredAbleitinger,SiegfriedBeerundEduardG.Staudinger (Hg.):Österreich
unteralliierterBesatzung1945–1955. (StudienzuPolitikundVerwaltung63.)Wien,Köln,Graz
1998,S. 159–204,hierS. 166f.
171 Barbara Porpaczy: Die französische Besatzung und die österreichische Nachkriegsidenti-
tät. In:FornwagnerundSchober (Hg.):FreiheitundWiederaufbau.Tirol indenJahrenumden
Staatsvertrag. (Akten des Symposiums des Tiroler Landesarchivs Innsbruck, 27. und 28. Mai
2005.) Innsbruck2007,S.91–102,hierS.95.
172 Michel Espagne: Les transferts culturels franco-allemands. (Perspectives germaniques.)
Paris 1999,S. 23.
173 Raoul de Broglie: Von der Seine zu Inn und Etsch. Deutsch vonAnnie Kraus. Innsbruck
1948, S. 173f. DieÜbersetzerin dieser Erinnerungen, Annie Kraus, ist selbst als Autorin eines
Texts zur Existenzphilosophie in Erscheinung getreten, Fülle undVerrat der Zeit. ZumBegriff
3.2 Résistance,OpfertheseunddasÜberspringenvonLesMouches 53
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur