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WenigeMonate später, imAugust 1946, bringtDer Turmdas Sonderheft „Im
Hinblick auf Frankreich“mit Texten des jüngst in Wien gewesenen Emmanuel
Mounier („Strömungen des französischen Katholizismus“), samt einem Auszug
aus Gabriel Marcels „Réflexions“ und Georges Bernanos’ Résistance-Text „Das
großeUnglückdieserWelt“. JeanDaniélouschreibt inseinemArtikel„Kommunis-
mus– Existentialismus–Christianismus“über AutorInnenwieGeorges Bataille,
MauriceBlanchot,JulesMonnerotundAlbertCamusundüberdiebaldimMittelpunkt
dermeistenBerichterstattungenstehendeSkandalträchtigkeitdesExistentialismus:
Die repräsentativste, aber in dieserHinsicht auchdie zweideutigsteGestalt ist Jean-Paul
Sartre, Philosoph, Romancier, Dramatiker und Publizist von Begabung. Als blendender
Lehrer,dannalsProfessor fürPhilosophiehatSartreeineHaltungeingenommen,die ihm
einenErfolgeingetragenhat,demderSkandalnicht fremdist.133
Der Text „Der Existentialismus bei Jean-Paul Sartre“ vonGerhardHorst präsen-
tiert die zu den „meistbeachteten denkerischenAuffassungen desMenschseins
in dieser Welt“134 gehörende Philosophie Sartres auf der Grundlage des noch
nicht übersetzten L’Être et le Néant, was 1946 außergewöhnlich ist. Bei Horst,
hier bezeichnet als „Anhänger Sartres“135, handelt es sich umden als Gerhard
Hirsch inWiengeborenen französischenSchriftstellerAndréGorz,dermitdiesem
Artikel als wichtiger interkultureller Existentialismus-Vermittler auftritt.136 Horsts
133 Daniélou:Kommunismus–Existentialismus–Christianismus,S.9.
134 GerhardHorst:DerExistentialismusbei Jean-PaulSartre. In:DerTurm2(1946),Nr. 1,S. 12.
135 Horst:DerExistentialismusbei Jean-PaulSartre,S. 12.Cf. zuGorzundseinemVerhältniszum
ExistentialismusBastianMokosch:AndréGorzunddasExilalsSelbst(ver)nichtungundSelbstent-
wurf. In:Schale,ThümmlerundVollmer (Hg.): IntellektuelleEmigration.ZurAktualität eineshis-
torischenPhänomens.Festgabe fürAlfonsSöllner.Wiesbaden2012, S. 185–202; JürgenDoll: Jean
Améry (HansMaier) undAndréGorz (GerhardHorst)– zwei österreichische Sartre-Anhänger im
Exil. In:WeilerundHofmann(Hg.),unterMitarbeit vonEsau:Revision inPermanenz.Studienzu
JeanAméryspolitischemEthosnachAuschwitz. (Historisch-kritischeArbeitenzurdeutschenLite-
ratur55.)FrankfurtamMain2016,S. 141–152;FinnBowring:AndréGorzandtheSartreanLegacy.
Arguments foraPerson-CentredSocialTheory.Basingstoke2000;sowieAndréHäger:AndréGorz
unddieVerdammniszurFreiheit.StudienzuLebenundWerk.Bielefeld2021 [vsl.]
136 Zur gleichen Zeit, Ende 1946, erstellt einweiterer ‚Auslandsösterreicher‘, der 1938 in die
USA emigrierte Schriftsteller Hermann Broch, ein Verlagsgutachten für Pantheon, in dem er
sichmit allemNachdruck für eine englische Übersetzung von Sartres L’Être et le Néant aus-
spricht. Die „große Bedeutung“ desWerks brauche, nachdem sich der Existentialismus auf
eine „soausgedehnteGefolgschaft“berufenkönne,nichtmehr erklärtwerden,wobei die „re-
klamehafte Befürwortung“ vor allem des Literaten und Menschen Jean-Paul Sartre das Ge-
wicht der Philosophie nicht schmälere. Sie sei die Philosophie der Epoche, weshalb Broch
keineZweifelhat,dass„diesegeistigeBewegungsehrwohldazuberufenseinmag,derneuen
Wirklichkeitweitgehend zu ihrer FormulierungundBewußtwerdung zuverhelfen“. Hermann
Broch: Jean-Paul Sartre. L’Être et le Néant, Englisch vonH. F. Broch de Rothermann [zuerst:
90 4 FranzösischeKulturpolitikundersteExistentialismus-Begegnungen
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur