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nach Beamtenart gekleideten Herrn“, während „Damen der Gesellschaft, wenn
sie sich ein besonders kühnesKleidmachen lassen, von einer ‚robe très existo‘
sprechen“28. Die Mode der ExistentialistInnen ist „ein unerschöpfliches Thema
derPariser Tagesgespräche“, berichtetRolf Italiaander 1949denLeserInnendes
deutschenWochenblattesDieZeit,dieersogleichaufklärt,dasssichdasExisten-
tialistische einesMantels im „Vorhandenseinnur eines einzigenKnopfes“ zeigt,
unddass insbesondere aufUnterwäsche zuachten sei, da „der Existentialismus
eineneueLehreunseresSeelenlebens ist undda[ß] dasUnterhemdunddieUn-
terhose der Seele näher sitzen als andere Kleidungsstücke“29. Ganz ohne Ironie
berichtet inÖsterreichdievomfranzösischenPressedienstherausgegebeneEuro-
päischeRundschau 1949unter derÜberschrift „DieTracht“ vondenvestimentä-
renVerpflichtungenderGruppe:
Bei den Existenzialisten, in der Gegend von Saint-Germain-des-pres [!], ist seit ein paar
Monaten das Tragen eines Regenmantels mit einer Kapuze modern geworden, dessen
Knöpfe durch Holzstücke ersetzt sind. Sie stammen aus den alliierten Exzeßgütern, die
seit Kriegsende zumVerkauf gelangten. Ihr Preis war ursprünglich 2400 fr. Francs, seit
sieaberso inModegekommensind,daß jederExistenzialistund jedeExistenzialistin,die
etwasauf sichhalten, einen solchenMantel besitzenmuß,wird für einExemplar– 7500
fr.Francsverlangt,undauchgegeben.30
DasRenommeeals„DiorderPhilosophie“31,dasSartre inÖsterreichbald innehat,
wirddieeigentlichephilosophisch-literarischeStrömunginFormeinesMetaphern-
repertoiresüberlagern,ausdemnoch1962eineTheaterkritikOttoBasilsschöpft:
Sartres Figuren sindphilosophischeMannequins, dienachderPfeife einesgeistigenMo-
deschöpfers tanzen.Obmanalso inderExistenzphilosophieeinmalmehrgerafftenWelt-
ekel oder etwas Geworfensein (zu nihilistischen Fransen) trägt, […] hängt im
wesentlichenvondengroßenModeschauendesExistenzialismus im„DeuxMagots“oder
SaintTropezab.32
DasÄußere steht als visuellwahrnehmbarerAbgrenzungswille vomBürgertum
imVordergrundderBerichterstattungüberdieWienerExistentialistInnentreffs.
Was dabei stetsmitschwingt, ist die Annahme, dass sich die Jugend „in einer
modernen Tracht genügte, ohne daß der Geist wirklich vorwärtsgerichtet
28 Mayer:MetaphysikundBee-Bop. In:DieZeit, 17.05.1951.
29 Rolf Italiaander:DieModederExistentialisten. In:DieZeit,07.04.1949.
30 o.V.:AusPariswirdunsgeschrieben… In:EuropäischeRundschau4(1949),Nr. 3,S. 25.
31WolfgangKraus. In:WolfgangRitschl: ZurFreiheit verurteilt.DerSiegeszugdesExistenzia-
lismus.Ö1,08.04.2005.http://oe1.orf.at/artikel/207083(einges.09.01.2019).
32 Otto Basil: Jean Paul Sartre, Die schmutzigenHände, Theater in der Josefstadt. In: Basil:
LobundTadel. Theaterkritiken 1947bis 1966.Hg. vomKollegiumWienerDramaturgie.Wien,
München1981,S. 266–269,hierS. 267. [Zuerst in:NeuesÖsterreich,26.01.1962.]
5.1 Modeundmodedevie:VonSt.Germain-des-Prészum„Strohkoffer“ 103
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur