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war“33, ein Vorbehalt vor allem auch aus wissenschaftlichemBlickwinkel (cf.
Kap.7.2)gegenüberdenen,die
sich in einembizarrenHaarschnitt und in einer ausgefallenenKleidunggefallenundein
verrücktes Geckentum an den Tag legen. Sartre hat sich durch öffentliche Maueran-
schläge vondiesen seinen ‚Verehrern‘distanziert. Sie sind aber trotzdemechte Lehrjun-
gen, die die Banknoten seiner Philosophie jetzt in Kleingeld verausgaben. Beweist nicht
gerade ihrGeckentumihre ‚absoluteFreiheit‘?34
Es ist der als vulgär empfundeneLebens-undKleidungsstil derAnhängerInnen,
dem sich das Sensationspotential des ‚Sartrismus‘ und damit die Aufmerksam-
keitderbreiterenÖffentlichkeit verdankt, inWienwie inParis. SimonedeBeau-
voir fürchtet die Konsequenzen, wenn sie fragt, welches Vertrauenman schon
einer Philosophie entgegenbringen solle, die Orgien nach sich ziehe („[q]uelle
confianceaccorderàunphilosophedont ladoctrineinspiredesorgies?Comment
croire à la sincérité politique d’un ‚maître à penser‘dont les disciples ne vivent
quepour s’amuser?“35).Aufdie„unnütze Jugend“ stürzt sich inÖsterreichnicht
nur die „Skandalpresse“36, sondernauchdiebürgerliche, für die dieser Teil des
Wiener Nachtlebens „keineswegs der langweiligste“ ist, kann man dort doch
rechnenmit „Leuten, die prominent sind, belagert von Journalisten, die nach
SensationenoderzumindestnachAußergewöhnlichemsuchen“37. Entsprechend
lässt sichdieEnttäuschungüberunauffälligesVerhaltennichtverbergen,alsder
Bild-Telegraf am9.Dezember 1954 einräumenmuss: „Mit Sensationenüber den
‚Nachtbetrieb‘könnenwirdiesmal leidernichtaufwarten.“38
ImMittelpunkt derWiener Szene steht das zumösterreichischen „Art Club“
gehörendeLokal„Strohkoffer“39,wo jenemjazzuntermalten,verrauchtenKeller-
Ambiente zubegegnen ist, dasBeauvoir in ihremallgemein als Schlüsselroman
33 L.:BärteundKunst sind im„Exil“. In:Bild-Telegraf,09.12.1954.
34 Fischl: Idealismus,RealismusundExistentialismusderGegenwart,S. 315.
35 Beauvoir:LaForcedeschoses,Bd. 1,S. 200.
36 GüntherNenning: Sankt Sartre. Komödiant undMärtyrer, gestorbenam15.April 1980. In:
FORVM1980,Nr. 319–320 [Juli–August], S. 20–27, hier S. 22.Das verbreiteteGleichsetzendes
Existentialismusmit Nichtstun liegt nahe inAnbetracht der Art,wie viele Blätter ihn vorstel-
len, so dasVorarlberger Volksblatt, eine Tageszeitung der ÖsterreichischenVolkspartei: „Die
neue, von J. P. Sartre vertretene philosophische Richtung des sogenannten Existenzialismus
istvieldiskutiert.DiesephilosophischeRichtungstellt eine leichte,manchmal lockereLebens-
auffassungdar, ein süßes ‚Farniente‘alsReaktionaufdie schweren JahredesKrieges.“Dr.H.
H.:DasParisvon1947. In:VorarlbergerVolksblatt,06.03.1947.
37 Z.-F.:WienerExistentialisten flüchten ins„Exil“. In:DiePresse,22.01.1955.
38 L.:BärteundKunstsind im„Exil“. In:Bild-Telegraf,09.12.1954.
39 Cf.MariaFialik: „Strohkoffer“-Gespräche.H.C.ArtmannunddieLiteratur ausdemKeller.
Wien1998.
104 5 DerExistentialismusalsSubkultur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur