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dass er sich sehr konzentriere. Erwar inder Lage, einenkraft seiner Person sehr einzuneh-
men.ErwareinePersönlichkeit, trotzseinesnichtsehreinnehmendenÄußeren.62
Während Cab Calloway, GrahamGreene, Jean Cocteau, Benjamin Britten und
OrsonWelles als berühmte Besucher die „internationale ausstrahlung“63 des
„ArtClub“bestätigen,wähntFerryRadax Jean-PaulSartre selbst als„Strohkof-
fer“-Gast:„Bis zumHerbst 1952kamensoziemlichalle Jazz-undGeistesgrößen
Europasdaherunter,weil esgenausoheißzugingwie in jedemPariserExisten-
zialisten-Keller. Ich glaube, auch Jean-Paul Sartre war einmal hier.“64 Auch
wenn sich dies nicht bestätigen lässt, ist Friedrich Torberg in Anbetracht des
bunten und „verheißungsvolle[n]“ Treibens der Ansicht: „daß das alles nun
doch existiert, ist für Wiener Begriffe und Bedürfnisse Existentialismus
genug“65. Tatsächlich werden der „Art Club“ und sein Kellerlokal auch ohne
allzu evidente inhaltliche Anknüpfungspunkte zur französischen Geisteshal-
tung in der von der Presse geformten öffentlichenWahrnehmung zum „Treff-
punktderExistentialistenWiens“:66
Der ‚Strohkoffer‘war lange ZeitWiens einzige Existentialistenattraktion undman zeigte
sie allen Fremden, die nach so etwas suchten. Der amerikanische Tourist, der wie alle
Amerikaner in Paris verliebt ist, sucht inWien sonst vergeblich nachMontmartre-Atmo-
sphäre oder Ähnlichkeiten mit der Kellergeneration von Saint-Germain-des-Prés. (Von
diesemPariserKünstlerquartierderNachkriegszeitpflegtmanzusagen,dasses jenerOrt
aufdieserWelt ist,wodie IntelligenzdichteunddiegeistigePotenzamhöchsten ist.)Als
JeanCocteau inWienweilte, versäumte er es nicht, den Jüngern seinerKunst einenkur-
zenBesuch abzustatten. Damals klebten siewieHeringe in der Konservenbüchse anein-
ander und lauschten dem Evangelium des Meisters. ‚Die Dichtung ist die Genauigkeit,
dasZahlenmäßige‘,dozierteCocteau.67
Nochkonkreter:„JedeStadthateineSpitze. InParis ist esSt.GermaindesPrés,
inWien ist esderArtClub“68, zitiert derMalerKurtMoldovan JeanCocteau. In
dessen Tagebuch findet sich am27.Mai 1952 ein Eintrag über den „Art Club“,
der im Stile der Saint-Germain-des-Prés-Keller doch eine eigene Wienerische
Anmut besitze („[l]’Art Club est une cave dans le style de Saint-Germain-des-
62 Paul Blaha. In: Ritschl: Zur Freiheit verurteilt. Der Siegeszug des Existenzialismus. Ö1,
08.04.2005.http://oe1.orf.at/artikel/207083(einges.09.01.2019).
63 Rühm:dasphänomen„wienergruppe“,S. 17.
64 Radax:MitnichtsalsFantasieerschufenwirunsereWeltausdemNichts,S.41.
65 FriedrichTorberg:PostScriptum. In:WienerKurier, 31.01.1952.
66 Z.-F.:WienerExistentialisten flüchten ins„Exil“. In:DiePresse, 22.01.1955.
67 Z.-F.:Wiener Existentialisten flüchten ins „Exil“. In:Die Presse, 22.01.1955 (Hervorhebung
imOriginal).
68 Kurt Moldovan: Cocteau imArt Club. Ein Situationsbericht (1952). In: Breicha (Hg.): Der
ArtClub inÖsterreich,S. 24–26,hierS. 24f.
5.1 Modeundmodedevie:VonSt.Germain-des-Prészum„Strohkoffer“ 109
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur