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Prés. […] La cave est tapissée de ce qu’on appelle dans le midi des canisses.
Nous sommes acclamés, entourés de soins, cinématographiés, photographiés,
reçus avec cette grâce qui caractérise Vienne“69). Cocteau bringt die Wiener
ExistentialistInnen durch seinen Besuch sogar auf die Leinwand. Der Beitrag
„Wiener Artclub (‚Der Strohkoffer‘), Wien“mit Kinostart am 14. März 1952 in
derÖsterreichischenWochenschau, bestätigt den ZuschauerInnen die üblichen
Klischees:AbgesehenvoneinemFlügelundeinigenSkulpturen,dominieren in
schwarze Rollkragenpullover gekleidete rauchende und trinkende jungeMen-
schenmitBrillenundBärtendasBild.DerSprecherkommentiert:
Die jungenKünstler vonWien haben sich […] ihr Heim eingerichtet, echter als in Paris.
TagsüberGalerie, istderStrohkoffer […] abendsTreffpunktvonKomponisten,Schauspie-
lern, Bildhauern, Schriftstellern und Kunstfreunden. Diskussion und Kritik erhitzen die
Gemüter undGeister, die jüngstenundneuestenWerke zeigtmaneinander. In zwanglo-
ser, geselliger Zusammenkunft entsteht ein fürWienneuartigerKontakt zwischenKünst-
lern und Publikum. Jean Cocteau ist schnell einmal von Paris nach Wien zu Besuch
gekommen, fühlt sich bei uns wie der Herrgott in Frankreich und empfiehlt sich auch
schonwieder auf Französisch ‚Au revoir, c’est si bon, ich umarme euch‘. Na überhaupt,
wozubrauchenwirParis […].70
Das kurze Filmporträt, das nebenhin widerspiegelt, wie die seit 1949 ausge-
strahlte österreichische Wochenschau von „einem extrem lokalpatriotischen
‚Wir‘“geprägt ist, vonÖsterreichals„InselderSeligen“71, fälltwenigermokant
aus als dieDarstellungender Presse. Dort überwiegen „hämische artikel“, bis-
weilen eine regelrechte „feindseligkeit“, eine „atmosphäre von ignoranz und
wütender ablehnung“72, so Rühm über die Reaktionen auf die künstlerische
Avantgarde. Dass von dieser nichts Substantielles zu erwarten sei, scheint
dabeialsGrundannahmehindurch:„AndenWändenhängenBilder.Mansieht
sie, dochniemand schaut sie an. Alle reden, doch vergeblichwartetman, daß
jemand tatsächlich etwas sagt.“73 Stattdessen: Schlägerei, Krawall und Schau-
lustige, eine der Pressemehr alswillkommene Trias, vonder zuletzt Abschied
genommenwerdenmuss,alsdie„Strohkoffer“-Belegschaft einneuesKlublokal
bezieht, nachdem „zu viele kamen, die nur gafften und nicht ‚vom Fach‘
69 Cocteau:LePassédéfini,S. 199.
70 o.V.:WienerArtclub („Der Strohkoffer“),Wien (14.März 1952). In:Österreich inBild und
Ton1952,DVD,100Min.Wien2005.
71 o. V.: Geschichte im Überblick. In: 1949 in historischen Filmdokumenten. DVD, 72min.
(EditionÖsterreichischeWochenschauen)Wien2007.
72 Rühm:dasphänomen„wienergruppe“,S. 17.
73 Z.-F.:WienerExistentialisten flüchten ins„Exil“. In:DiePresse,22.01.1955.
110 5 DerExistentialismusalsSubkultur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur