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imRomanmehrfach zur Sprache kommt (cf. Kap. 6.3), spielt eine zentrale acte
gratuit-Darstellung Sartres („un acte proprement impolitique“113), die Erzählung
„Érostrate“ aus demBand LeMur, keine Rolle inDie Ausgesperrten. In Sartres
Erzählung führt diemisanthropischeHauptfigur jene Tat aus, die AndréBreton
einst als einfachsten surrealistischenAkt bezeichnet hat, darausbestehend,mit
einemRevolver auf die Straße zu laufenundwahllos in dieMenge zu schießen
(„revolvers auxpoings, à descendredans la rue et à tirer auhasard, tant qu’on
peut, dans la foule“114). Stattdessen dient Jelineks Jugendlichen eine Szene aus
SartreszweitemRomanL’Agederaison (1945)alsdirekteHandlungsanweisung:
In der Zeit der Reife von Jean-Paul Sartrewill einer seine Katzen ersäufen, und deshalb
will man heute diese Katze ebenfalls ersäufen, obwohl auch diese Katze ein Recht auf
ihre Existenz hat. Rainer sagt, er selber hat ebenso das Recht auf seine Nichtexistenz,
genauwiedieseKatzehier,welchevon ihm in ihreNichtexistenzbefördertwerdenwird,
ehsienochbisdrei zählenkann.115
Während das Unterfangen hier im letzten Moment durch eine Störung von
außenscheitert,hältdie InspirationsfigurDanielausL’Âgederaisonzuletztdie
philosophischeErkenntnisab, sichselbstauchdurchdieTatnichterreichenzu
können („[u]n granddégoût l’envahit, il pensa: ‚C’est unacte gratuit.‘ Il s’était
arrêté, il avait posé le panier par terre: ‚S’emmerder à travers lemal qu’on fait
auxautres.Onnepeut jamaiss’atteindredirectement‘“116).
Nicht nur als Handlungsvorlage und -legitimation dienen existentialisti-
scheElemente inDieAusgesperrten, sondern insbesondere „umsich ins rechte
Licht zu setzen“117 werden Sartre und Camus plagiiert und paraphrasiert, vor
allem von Rainer, der unaufhörlich über „philosophische Problemstellungen“
diskutiert, beispielsweise „über innere künstlerische Spannungen, die er am
Beispiel vonCamusnachweist“118.Die großenNamen fungierenals Platzhalter
für eigeneDenkinhalte (ähnlichwie bei Vians Partre-Anhänger Chick, der ein-
sieht, dass Partre alles sagt, was er selbst gern sagen könnenwollte– „Partre
113 Jean-Paul Sartre: Érostrate. In: Sartre:Œuvres romanesques, S. 262–278, hier S. 271 (Her-
vorhebung imOriginal).
114 AndréBreton: SecondManifesteduSurréalisme (1930). In: Breton:Manifestes duSurréa-
lisme.Paris 1962,S. 155f.
115 Jelinek: Die Ausgesperrten, S. 92. Dass der Titel von Sartres Roman hier nicht in
Anführungszeichengesetztwird,unterstreicht fürMarlies Janz (Elfriede Jelinek, S. 48),wiedie
Figuren„fictionundnon-fictionmiteinanderverwechseln“.
116 Jean-Paul Sartre: L’Âge de raison. In: Sartre:Œuvres romanesques, S. 391–729, hier
S.486.
117 Jelinek:DieAusgesperrten,S.95.
118 Jelinek:DieAusgesperrten,S. 164,232.
118 5 DerExistentialismusalsSubkultur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur