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dassehr stark,es ist einVerlust.Er sagtaberkeinem,daßvor ihmschonJean-PaulSartre
diesenVerlustgenausogefühlthat,ergibtesalsseineneigenenVerlustaus.130
NebendirektenAnleihenausSartresZeitderReife,DasSeinunddasNichtsund
vorallemDerEkel131kommenexistentialistischeSchlüsselideenmehrodermin-
derverfremdetzumVorscheinundzuunmittelbarerAnwendung:
Tatsächlichsindwir eineFreiheit, diewählt, aberwirwählennicht, frei zusein.Wir sind
zurFreiheit verurteilt.Wenn ichdichanschau,Mama, so stimmtdas. InderFreiheit ver-
lassen, was auf dich zutrifft. Und diese Verlassenheit hat keinen anderen Ursprung als
ebendieExistenzderFreiheit.Dassiehtmanandir. […]DieZwillingeerklärenderMutter,
daßauchdieNichtexistenzdieserMutter denkbarundmöglichwäre. Ichhabeeuchper-
sönlich geboren, einen nach dem anderen. Daher existiert ihr, und ich existiere auch.
Was istdas füreinBlödsinn. […]DieMutterwirdwieeineStubenfliegeverscheucht.132
Lassen Jelineks sprachlicheVerfahren „denBetrachter bewusst imUnklaren […],
ob es sichumMimesis oder Parodie handelt“133, so scheint hier genau jenerGe-
brauch von literarischen Figuren als Ideologie-Kanäle parodiert, der Sartre mit
Blick auf sein fiktionalesWerk oft vorgehaltenwurde.Die von Jelineks Jugendli-
chen verwendete Sprechweisewird als existentialistischesGehabedekonstruiert,
bei Rainer sowie bei denen, die ihm (ohne Rücksicht auf Differenzen zwischen
Sartre und Camus) nachsprechen, wie Hans Sepp: „Hans sagt der Mutter, daß
sich der Mensch befreienmuß und revoltiert [!], dann beginnt ein Leben ohne
Zwänge, wie der Rainer immer sagt.“134 Diese Freiheit müsse „ein für allemal“
erlangtwerden,ungeachtetdereigentlichenphilosophischenVorgabe,dassdiese
Freiheit„strengbedingtdurch ihrekorrelativeUnfreiheit“ ist,wieAmérydenSar-
treschen Faktizität-Begriff einmal umschreibt, sie ist „ein permanenter Prozeß“
und „kein ein für allemal zu erobernder unveränderlicher Raum“135. An Rainers
undHans’Glauben, sichvonallenDeterminierungen lösenzukönnen, stößt sich
vor allemHans’Mutter. Die Arbeiterin Frau Sepp vertritt in der Literatur die in
denerstenfünfNachkriegsjahrenlautekommunistischeKritikanderexistentialis-
tischen Außerachtlassung von Lebensumständen, indem sie sich gegen einen
130 Jelinek:DieAusgesperrten,S. 106f.
131 SartreundCamusstellen inJelineksRomandiemeistenPrätexte,hinzukommenVerweise
unter anderem auf Roland Barthes, Marquis de Sade, Georges Bataille, Jean Cocteau, Imma-
nuelKantundG.W.F.Hegel.
132 Jelinek:DieAusgesperrten,S.41f.
133 Carolin John-Wenndorf: Der öffentliche Autor. Über die Selbstinszenierung von Schrift-
stellern.Bielefeld2014,S. 148.
134 Jelinek:DieAusgesperrten,S. 228.
135 JeanAméry:Handansich legen:DiskursüberdenFreitod.Stuttgart 1983S. 128, 129.
5.2 LiterarischeDarstellungendesExistentialismusals Jugendkult 121
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur