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zurAufführung einer CollagenachLes Justes, „Monsieur CamusoderDie verges-
seneRevolte“,Anfangderachtziger Jahre imWienerDramatischenZentrumzeigt:
SeitvielenJahrenhatessich inderWienerTheaterszenenichtmehrderartnachdrücklich
gerührt. […] Menschen imGewissenskonflikt zwischen zweierlei Humanismus: Der eine
rechtfertigtMordundGewaltalsMitteldesKampfesgegenMordundGewaltvonungleich
größeremAusmaß,der anderehemmtdieHand,die gegendenKopf einesMenschenab-
drückenwill.171
InGstreinsRomanerträgtHeldAntondas in seinenAugenvollkommenharm-
lose Stück durch „seine hochtrabende Thesenhaftigkeit“ („ein einzigesWahr-
heits- und Wahrhaftigkeitsgetöse über Freiheit und Gerechtigkeit“172) zwar
kaum, unterstützt es aber aus Prinzip. Im Gegensatz zu diesem Drama sei
Camus’ im BandDas Exil und das Reich zu findende Erzählung „Der Abtrün-
nige“über einenwahnsinnigwerdenenMissionar inBezugaufdiegegenwärti-
gen Verhältnisse „erschreckend hellsichtig“173, schaltet sich der wohlgesinnte
Schuldirektor ein. Jeder ziehe sein Tun in Zweifel, beruhigt er, „das Entschei-
dende sei, obmanweitermache, obwohl einem plötzlich alles als sinnlos er-
scheine“174, womit er die von Camus in Le Mythe des Sisyphe aufgeworfene
Fragenachder adäquatenReaktion auf denEinbruchdesAbsurdenparaphra-
siert (cf. Kap. 6.3). Während Anton im Einverständnis mit dem provokanten
Satz,derCamus’Essaybeschließt–manmüssesichSisyphosglücklichvorstel-
len („[i]l faut imaginerSisypheheureux“175)– ,mit seinemLeben fortfährt, hat
sein Bruder vor langer Zeit das seine beendet. Dessen Lieblingsbuch, Der
Fremde, gehört laut Anton letztlich doch zu denWerken, die das (wenn auch
selten entfaltete) Potential hätten, „für einen normalen Alltag untauglich zu
machen“, unddie er nun seinemSchüler Daniel anbietet, „als sollten siewie-
dereineAntwortgeben,diesieschoneinmalnichthattengebenkönnen“176.
171 HeinzSichrovsky:RechtfertigungderGewalt? In:Arbeiter-Zeitung,01.04.1982.
172 Gstrein:EineAhnungvomAnfang,S. 191.
173 Gstrein:EineAhnungvomAnfang,S.97f.
174 Gstrein:EineAhnungvomAnfang,S.85.
175 AlbertCamus:LeMythedeSisyphe.Paris 1942,S. 168.Cf.Gstrein:EineAhnungvomAnfang,
S. 24:„[T]atsächlichwar ichnachdenMonaten imKlassenzimmer sozufriedenmitderArbeit im
Freienund ihrerZiel-undscheinbarenNutzlosigkeit,dass ichzumerstenMaldenSatzzubegrei-
fen glaubte, nachdemman sich Sisyphos als glücklichenMenschen vorzustellen habe,weil ich
michbeidemWunschertappte, jemandmögehintermirallesrückgängigmachen.“
176 Gstrein:EineAhnungvomAnfang,S.45,52. ImInterviewmitBettinaSteinerbetontGstrein
(DiegefährlicheLust, recht zuhaben. In:DiePresse, 11.08.2013)diesbezüglich,dasProblemsei
„nicht die Literatur selbst, sondern der jugendliche Lesermit seinen Idealvorstellungen“. Zur
BedeutungCamus’ für denAutor cf.NorbertGstreinundStefanZweifel: ZweifelsReflektorium,
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Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur