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Handelsakademie“186. GernotWolfgruberhat sich, sowie sichder Lehrling in
seinemRomanAuf freiem Fuß (1975) „fast täglich ins Kino“187 begibt, in die
Welt auf der Leinwand „hineingewünscht“188. Das indenFilmenpräsentierte
andere Lebenweckt Träume, die an den starren Strukturen derWirklichkeit
zerbrechen, am „Wertesystemeiner rückwärtsgewandtenund restriktivenGe-
sellschaft“, lautet die Diagnose von Robert Buchschwenter, der hier keinen
Raum für ein haltbares „alternatives kulturelles Narrativ“ sieht: Es ist die
„transzendente Erfahrung, die einem amerikanische Kult-Filme bescherten,
so völlig abgelöst von sozialenRealitäten österreichischer Jugendlicher, dass
sieseltenmehralseinenunmittelbarenAusbruchangegenstandsloserGewalt
oder folgenloserBegeisterungzurFolgehatten“189.
Doch stellt der Hollywoodfilm nur einen Teilbereich dessen dar, was dem
Nachkriegspublikum an die „abgebrocheneModerne“ anzuknüpfen erlaubt: Es
ist, schreibtHeinrichDeisl,„fürdie1950erprägend,dassSartre/CamusundJazz,
Baudelaire/Villon und BoogieWoogie, TheWild One undModerne Kunst eine,
wennauchdesperateEinheit ergaben“190.DieEinheit erscheint zumindestweni-
gerdisparat,wennmandenExistentialismusalsbereits starkvonderamerikani-
schen Literatur undMusik beeinflusst denkt; auch vonHollywood,mit dessen
wesentlichenErzeugnissen(„l’essentielde l’histoireducinéma“191)Beauvoirund
SartreseitBeginnder1930erJahrevertrautsind. InErmangelungakzeptablerna-
tionaler Produktionen („rien d’acceptable“) ist die Nachfrage der französischen
Bevölkerungnach 1945beträchtlich, berichtet Beauvoir, die sich viel („monts et
merveilles“192) vom amerikanischen Film verspricht, derwie die Literatur nicht
nur Unterhaltung und Kunst („un divertissement et un art“) für sie und Sartre
darstellt, sonderndieErweckungeinerWelt („uneévocationdumonde“193).
Beauvoir beschreibt in ihrer Autobiographie La Force des choses, wie die
amerikanischeKultur– Jazz,Kino,Literatur–alsetwasUnerreichbares, alsein
großerMythos ihre Jugendbestimmt(„[ç]asignifiait tantdechoses, l’Amérique!
Et d’abord, l’inaccessible; jazz, cinéma, littérature, elle avait nourri notre
186Winkler:Winnetou,Abelundich,S. 29f.
187 GernotWolfgruber:Auf freiemFuß.Salzburg61988,S.35.
188 Hoffmeister: Access Routes into Postmodernism: Interviews with Innerhofer, Jelinek,
Rosei,andWolfgruber. In:ModernAustrianLiterature20 (1987),Nr. 2,S.97–130,hierS. 129.
189 Robert Buchschwenter: „Johnny, ein Glas Milch!“ Kino, Pop und der Kampf um den
(guten)Geschmack. In:Horaketal. (Hg.):Randzone,S. 103–125,hierS. 123, 122.
190 Deisl: ImPulsderNacht,S. 21.
191 Emmanuel Leclercq: Le Cinéma selon Simone de Beauvoir: les visages et lesmythes. In:
LesTempsmodernes2002,Nr.619 [Juni–Juli],S. 185–248,hierS. 185.
192 Beauvoir:LaForcedeschoses,Bd. 1,S. 26.
193 Leclercq:LeCinémaselonSimonedeBeauvoir,S. 187.
5.2 LiterarischeDarstellungendesExistentialismusals Jugendkult 131
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur