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neten Gruppierungen, „Jazzer und Rock ’n’Roller“217, trenntDie Ausgesperrten
nicht klar voneinander. Es veranschaulicht vielmehr,wie der Jazz, als „Sprach-
rohr für Subversion aller Art“218, mit dem noch schockierenderen Rock’n’Roll
„eineengeLiaison“219eingeht.
In diesem Sinne reklamierbarmacht den Jazz die Tatsache, dass er „trotz
ungeheurer Beliebtheit des Senders Rot-Weiß-Rot“220, der unter Aufsicht der
amerikanischen Besatzungsbehörde steht, eine laut Rathkolb von weiten Ge-
sellschaftsschichten prinzipiell abgelehnte schwarzeMusik bleibt.Während er
sich für die Jugendlichen dadurchmit subkulturellemKapital auflädt, wird er
für die Elterngeneration zum Synonym für mangelnden Lebensernst und
Verantwortungslosigkeit: „Er will nur die neuesten Jazzplatten hören und ist
weder genügsamnochbescheiden“, fasst in JelineksRomanRainers Tantedas
Verhalten ihresNeffenzusammen.„Oft sinddiese jungenLeute,dienur tanzen
undJazzmusikhörenwollen,zuunreif,ummiteinerFreiheitauchumzugehen,
deswegennimmtman sie ihnenwiederweg“221, räsoniert VaterWitkowski. Es
treibt den Arbeiter Hans ebensowie dieWitkowski-Zwillinge derWunsch an,
aus der elterlichen Klasse auszubrechen, was ein wesentliches Element des
subkulturellen Habitus ist, doch beruht subkulturelle Distinktion laut Sarah
Thornton gerade auf einer „fantasy of classlessness“222, die in Jelineks Hand-
lung nur bedingt gegeben ist; ebenso in der Realität: Die ExistentialistInnen,
überwiegend aus studentisch-künstlerischem Milieu in den Städten, grenzen
sich imAllgemeinen „bewusst von arbeiterjugendlichen Ausdrucks- und Ver-
haltensformen ab,wussten jedoch antiproletarische Grundhaltungenmit kon-
ventionslos-antibürgerlichenAttitüdenzueiner spezifischenFormjugendlicher
GegenkulturundZivilisationskritikzuverbinden.“223Der sichdezidiertantibür-
gerlich gerierende Kleinbürger Rainer verachtet Hans, den „von Karl Marx zu
Elvis degenerierte[n]Arbeiter“224, der sich seinem illegitimenUnterklassen-Ge-
217 Deisl: ImPulsderNacht,S. 147.
218 Deisl: ImPulsderNacht,S. 115.
219 Zinnecker: Jugendkultur 1940–1985,S. 161.
220 Rathkolb:DieEntwicklungderUS-Besatzungskulturpolitik,S.38.
221 Jelinek:DieAusgesperrten,S. 161,35.
222 Sarah Thornton: The Social Logic of Subcultural Capital [1995]. In: Thornton und Gelder
(Hg.): The Subcultures Reader. London undNewYork 1997, S. 200–209, hier S. 204. Bei einer
SubkulturhandeltessichnachSchwendterumeinenGesellschaftsteil,„dersich inseinen Insti-
tutionen, Bräuchen,Werkzeugen, Normen,Wertordnungssystemen, Präferenzen, Bedürfnissen
usw. ineinemwesentlichenAusmaßvondenherrschendenInstitutionenetc.der jeweiligenGe-
samtgesellschaftunterscheidet.“RolfSchwendter:TheoriederSubkultur.Köln1973,S.11.
223 Hüser:Amerikanisches inDeutschlandundFrankreich,S. 299.
224 Sichrovsky:DieAusgesperrten,S. 10.
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Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur