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Buchhandlungendes Jahres 1953„könntenebensogut inChicagooder Indiana-
polis sein“254. Angesichts dieser Dominanz stellt sich ein gewisser Überdruss
ein,weil siemit derVernachlässigungösterreichischer SchriftstellerInnenkor-
reliere, derenKunst imWesentlichendarin bestehe, „sich von einemTag zum
andern amLeben zu erhalten“255. Bernhard selbst zeigt in denNachkriegsjah-
ren an sich reges Interesse an LiteratInnen wie O’Neill, Hemingway, Thurber
undWolfe, die seinenLandsleuten,„den immernochso sehrTraditionsgebun-
denen,den inmancherHinsichtAuswegsuchenden“256, viel zusagenhätten.
Vor allemdieAuthentizität undDramatik,mit der amerikanischeAutorIn-
nendasLebenbeschrieben, lassen ihrenEinflussaufdie französischeLiteratur
seit der Zwischenkriegszeit für Beauvoir sehr profitabel erscheinen.257 Sie und
Sartre unterstreichen die Wichtigkeit Hemingways, Dos Passos’, Steinbecks
undFaulkners als engagierte amerikanische Literatur („la littérature ‚engagée‘
américaine“258):
WasdieAmerikaner angeht, sohaben sieunswederdurch ihreGrausamkeit nochdurch
ihren Pessimismus berührt:wir haben in ihnenMenschen erkannt, die in einemzugro-
ßen Kontinent ebenso überwältigt, verloren waren wie wir in der Geschichte und die
ohne Traditionenmit den erstbestenMitteln ihre Benommenheit und ihre Verlassenheit
mitten inunverständlichenEreignissenwiederzugebenversuchten.DerErfolgvonFaulk-
ner,HemingwayundDosPassos ist nicht dasErgebnis des Snobismusgewesenoder zu-
mindest nicht zuerst: es war der Abwehrreflex einer Literatur, die sich bedroht fühlte,
weil ihre Techniken und ihre Mythen ihr nicht mehr ermöglichen würden, der histori-
schen Situation ins Gesicht zu sehen, und sich daher fremdeMethoden aufpfropfte, um
inneuenKonstellationen ihreFunktionerfüllenzukönnen.259
Salzburg […] visited their local America House to borrow books and read the papers.“ Judt:
Postwar,S. 224.
254 Thomas Bernhard:Wo sind die österreichischenDichter? In: Bernhard:Werke, Bd. 22/1,
S. 168–170,hierS. 170. [Zuerst in:DemokratischesVolksblatt,08.06.1953.]
255 Thomas Bernhard [Th. B.]: Junge Dichter in Österreich. In: Bernhard: Werke, Bd. 22/1,
S. 13–15,hierS. 13. [Zuerst in:DemokratischesVolksblatt, 21.01.1952.]
256 Thomas Bernhard [Th. B.]: Helene Thimig las amerikanische Dichter. In: Bernhard:
Werke,Bd.22/1,S.93–94,hierS.93. [Zuerst in:DemokratischesVolksblatt,02.12.1952.]
257 Cf. Simone de Beauvoir: An American Renaissance in France. In: The New York Times,
22.06.1947. Cf. Jean-Paul Sartre: AmericanNovelists in French Eyes. In: TheAtlanticMonthly
178 (1946),Nr. 2,S. 114, 117.
258 Beauvoir: LaForcedes choses, Bd. 1, S. 117.Dieses Interesse schlägt sich 1946 inder ers-
tenUSA-Sonderausgabe derTempsmodernes (August–September) nieder, imNovember 1946
folgtdie ZeitschriftEspritmit einem„L’hommeaméricain“ (‚DeramerikanischeMensch‘) beti-
teltenSonderheft.
259 Sartre:Was istLiteratur?,S. 175.
144 5 DerExistentialismusalsSubkultur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur