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wenndenAutor „die SurrealistenundauchdieExistentialistenhundertprozentig
für sich reklamieren (wenn Kafka das erlebt hätte!)“21, so der bildende Künstler
AbuNif (Arnulf Neuwirth) in der KulturzeitschriftPlan, in der beide Strömungen
Seite an Seite rezipiertwerden (cf. Kap. 6.4).22 Die Interpretationsoffenheit seiner
LiteraturmachtKafkahier schnell zueinempassepartout-Autor, beobachtet 1948
derGermanistPeterDemetz:
SurrealistenundExistentialisten,PsychoanalytikerundmoderneTheologenwärmen ihre
SuppegleicheifrigamFeuerdesDichters. Sieallewollenplötzlichmit ihmzutunhaben,
alle imrühmlichenBezirk seinesSchattensstehen,alleeineZeile zurUnterstützungeige-
nerHypothesen zitieren. KafkasWerk soll in einArsenal vonArgumenten für undwider
diemoderne Intellektualitätverwandeltwerden:wodieeinendasSymbolsehen, sinddie
zweitenvonder Irrationalität geblendet, suchendiedrittennachElementeneinesarchai-
schenBewußtseins, fragendieviertennachpathologischenSymptomen.23
GegendenVorwurf einer simplifizierendenKafka-Lesartwehren sichBeauvoir
undSartre früh:
Wir erfaßten sofort, daß man es nicht zur Allegorie reduzieren noch es durch ir-
gendwelcheSymbole interpretierendürfe,daßesvielmehreine totalitäreVisionderWelt
sei. DurchdieVerdrehungderBezüge zwischenMittel undZweck stellteKafkanichtnur
denSinnder Instrumente, der Funktionen, derRollen, dermenschlichenVerhaltenswei-
sen in Frage, sondern das gesamte Verhältnis des Menschen zur Welt. Er entwarf ein
phantastischesundunerträglichesBild,einfach indemerunsdie ‚Kehrseite‘zeigte.24
(Nouscomprîmes toutdesuitequ’il ne fallaitpas le réduireàuneallégorie,ni chercherà
traversquels symboles l’interpréter,maisqu’il exprimaitunevision totalitairedumonde;
pervertissant les relations entre lesmoyens et les fins, Kafka contestait non seulement le
sensdesustensiles,des fonctions,desrôles,desconduiteshumaines,mais le rapportglo-
21 Abu Nif: Surrealistische Vorposten in Wien. In: Plan 1 (1946/47), Nr. 12, S. 968–969,
hierS.969.
22 Ein Nahverhältnis der französischen SurrealistInnen zu Kafka besteht schon am Beginn
der Rezeptionsgeschichte, nachdem vor allem (pro)surrealistische Periodika wie die Cahiers
du Sud oder Bifur in den dreißiger Jahren die Frühvermittlung des Autors nach Frankreich
leisten.
23 Peter Demetz: Zur Interpretation Franz Kafkas. In: Plan 2 (1948), Nr. 6, S. 370–378, hier
S. 370. Das Gewicht der Symbolik in KafkasWerk betonen fast alle österreichischen Bespre-
chungen, so jene des 1938 indieUSAemigriertenKafka-ExpertenHeinz Politzer (DerDichter
Franz Kafka. In: Silberboot 2 [1946], Nr. 1, S. 41–42, hier S. 42): „Handlung und Gleichnis,
Fabel und Parabel sind in eins verschlungen, Sein und Bedeutung sind unlösbar ineinander
verschränkt. Die Simultaneität von Existenz und Symbol–dies ist der Fortschritt, den Franz
KafkasEpikdarstellt, zugleicheineGrenze, dieniemehrüberschritten, kaum jenocherreicht
werdenwird.“
24 Beauvoir: IndenbestenJahren,S. 160.
6.1 Verflechtungen:KafkaundderneueKanon 151
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur