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Trauer umder Trauerwillen, Toddes Effekteswegen. IndieserGefahr befinden sich, das
seinichtgeleugnet,auchAutoren,die indiesemBandvertretensind.57
Ananderer Stelle räumtHahnl jedochein, dassnach 1945keinWeganKafkas
Übermacht vorbeiführt: „Das Vorbild war kaum abzuwerfen, unmöglich zu
überwinden.“58 In seinemKontinente-Artikel „Die gefundene Generation“ ver-
teidigtWeigel die Anlehnung seiner Protégés an Kafka als einen Schritt, über
denmanfrohseinsollte:
Die große optische Täuschung jederMitwelt besteht darin, Lebendeunter allenUmstän-
den für lebendig, Gestorbene für tot undGleichalte für gleich alt zuhalten.Noch ist das
neunzehnte Jahrhundertunteruns, inSechzig-undSiebzigjährigen,das zwanzigste aber
steht vor uns in Trakl, Kafka und anderen großen Lebendigen. Einer neuen Generation
vorzuwerfen, daß sie Trakl undKafka imitiereundnachempfinde, heißt dieAdresse ver-
wechseln. UnsereWelt ist von Trakl undKafka,wir schreibennurmit; und immer noch
besser, man ist „Epigone“ Trakls und Kafkas als Hofmannsthals oder Thomas Manns,
immer noch besser kleingedruckt in einem späteren Kapitel der Literaturgeschichte als
fettgedruckt ineinemfrüheren!59
Der jungenGenerationseimitderPolitikundGesellschaftsordnungderElternge-
neration auch deren Literatur „fragwürdig geworden“60, bestätigt Hahnl. Sie
gehe„lieberbeidenGroßvätern indieSchule“undversuche,„ihregegenwärtige
Position in der Vergangenheit zu fundieren“, ergänzt Eisenreich: „Sie ist nicht
konservativ, aber sie besinnt sich auf die Tradition.“61 DieseHerangehensweise
betrifft nichtnurdie Jungen, spitztEisenreichzu, sonderneinganzesLand,das,
„so ziemlich aller politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten beraubt, auf
hysterische Art bei der Vergangenheit die Argumente für seine gegenwärtige
Existenz suchte“62. Ankeiner Stelle tritt derWille, sich am literarischenGestern
57 HansHeinzHahnl: ZurSituationderLiteratur. In: StimmenderGegenwart, 1951, S. 20–25,
hierS. 22.
58 Hahnl: Vonder Diskreditierung der Ideologien, S. 159. So ist der beste Rat, sich davor zu
hüten, „zuviel Kafka zu lesen“,meint EliasCanetti, der anlässlichderKafka-Preis-Verleihung
darüberhinausäußert,„daßesniemandengibt,aufderganzenErdenichtund inkeinerSpra-
che, der eswirklich verdienenwürde, imNamenKafkas ausgezeichnet zuwerden“. Elias Ca-
netti: Die tiefste Verehrungmeines Lebens. In: Nachbaur und Scheichl (Hg.): Literatur über
Literatur. Eine österreichische Anthologie. Innsbruck 1995, S. 95–96. [Zuerst in: Die Presse,
24.09.1981.]
59Weigel:DiegefundeneGeneration,S. 13.
60 Hahnl:ZurSituationderLiteratur,S. 23.
61 Eisenreich:DasschöpferischeMißtrauen,S.83.
62 Eisenreich:Prominentevonuntengesehen. In:DieZeit, 26.02.1953.
158 6 StimmenderGegenwart:ExistentialistischeLiteratur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur