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anzumelden“114. InWeigelsVorbemerkungzumersten Jahrgangheißt esbezüg-
lichdiesesVorhabensvorwurfsvoll:
Hierwird derVersuchunternommen, inWortenundBilderndieGegenwart sprechen zu
lassenunddarzustellen. […]AngesichtsdesVakuumsinnerhalbunseresgeistigenLebens
wird jedochdieVerschwörungdesSchweigens zur tragischenSchuld.Verkannt,mißver-
standen, verfolgt, in äußerster physischer und psychischer Notlage, von inkompetenten
WichtigtuerndesoffiziellenBetriebs ignoriert oderbestenfalls leutselig aufdie Schultern
geklopft, lebtdieseGenerationaufGrundeineserstaunlichen, fastwundersamenPotenti-
als an Haltung und Disziplin aus sich selbst, denkt, arbeitet, reift und gibt durch ihre
bloße Existenz die einzige Garantie für dasWeiterbestehen von Kunst und Gesittung in
Österreich.115
1952 ist der zweitenVorbemerkung zufolge die Situationnochdesolater als im
ersten Jahr: „Unbeschreiblich und erschütternd ist ihre materielle Not, ärger
noch die Hoffnungslosigkeit und Isoliertheit der von der lebendigenWirkung
in der Öffentlichkeit durch Presse, Bühnen, Verlage, Redaktionen und Sender
fast völlig Ausgeschlossenen.“116 1953 erreicht die Publikation durch Spenden
und staatliche Förderung zuWeigels Überraschung ihren dritten Jahrgang, in
diesen Zeiten „fast schon ein biblisches Alter“117. Immer noch ist er jedoch
geneigt,
nichtFormundInhaltdesGeschriebenen,sonderndieLebensformderSchreibendendar-
zustellen:… lebt vonderArbeitslosenunterstützung,…hatkeineSchreibmaschine,…hat
außer demBrotberuf einen Haushalt und zwei Kinder zu betreuen,… ist schwer krank
undhat keineMittel, um sich auszukurieren,… kommt kaumzumSchreiben,… kommt
kaumzumSchreiben,…kommtkaumzumSchreiben… 118
Eine der Beteiligten, Ingeborg Bachmann, bestätigt denEindruck aus eigenem
Erleben:
Wir waren alle Mitte zwanzig, notorisch geldlos, notorisch hoffnungslos, zukunftslos,
kleineAngestellte oderHilfsarbeiter, einige schon freie Schriftsteller, dashieß sovielwie
abenteuerlicheExistenzen, vondenenniemand rechtwußte,wovon sie lebten, vonGän-
genaufsVersatzamt jedenfallsamöftesten.119
heißt: es geschieht diskret, undman läßt sich nicht anmerken, daß dieMußeunddieArbeit
garnichtsosehrentferntvoneinanderwohnen.“
114 RichardSchmitz:ZumGeleit. In:StimmenderGegenwart, 1953,S.3.
115Weigel:Vorbemerkung. In:StimmenderGegenwart, 1951,S.5.
116Weigel:Vorbemerkung. In:StimmenderGegenwart, 1952,S.6.
117Weigel:Vorbemerkung. In:StimmenderGegenwart, 1953,S.5.
118Weigel:DiegefundeneGeneration,S. 13.
119 IngeborgBachmann: [Gruppe 47] Entwurf. In: Bachmann:Werke, Bd. 4, S. 323–330, hier
S.324.
168 6 StimmenderGegenwart:ExistentialistischeLiteratur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur