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sage, ohne denAnschein derObjektivität zu beanspruchen“133, wobei Letzteres
laut Kriegleder dennoch desÖfteren vorkommt: „Das schwer Sagbarewurde in
dichterischemGerauneüberhöht,SonettewuchertenundeineerleseneMetapho-
riksuchte individuelleBeschädigungeninsAllgemeingültigezuerhöhen.“134
Das breite Lesepublikum hingegen suche statt existentieller Krisen-Dich-
tung „schlicht Erholung und Erbauung, die Flucht in eine weniger anstren-
gendeWelt“135:KarlMüllerweistdaraufhin,wie„BilderderEinheit, derRuhe,
Geborgenheit und Stabilität“ in der etablierten Literatur der fünfziger Jahre
„Chaos undUnordnung“ bannen und „alles Bedrohliche und Fremde“136 aus-
grenzen. Die teils religiöse Heimkehrer- undHeimat-Literatur wartet mit kon-
stantenMotive auf („Natur, Liebe, Tradition“), die die politische Katastrophe
unverändert überstandenhaben: „Hierwirkt dasGefühl amstärksten, daßFa-
schismusundKrieg,andiesenKonstantengemessen,vergänglichePhänomene
repräsentieren“137. Die schonvor 1938vorherrschende „insistierendeBeschwö-
rung vonHeimat undHeimkehr“138 durchAutorInnenwie Karl HeinrichWag-
gerl, FranzTumlerundErnaBlaas verklingtnach 1945nicht, vielmehrbelegen
beispielsweiseWaggerls volkstümliche Gedichte zwischen 1951 und 1956 drei-
maldasBestseller-Spitzenfeld.DiedarinentworfenenGeborgenheitsidyllensta-
bilisieren in Karl Müllers Augen das beschädigte Ich der Kriegsrückkehrer,
mildernSchuldgefühle,heilenein„angeknackstesSelbstwertgefühl“139.
DieLyrikderdie jungeLiteratur repräsentierendenStimmenderGegenwart-
AutorInnen(cf.Kap.6.2),dieselbstaufLebensläufeaus„Kriegsdienst,Verwun-
dung, manchmal Emigration, dann Beendigung des Studiums, Brotberuf“140
133 McVeigh: Kontinuität und Vergangenheitsbewältigung in der österreichischen Literatur
nach1945,S. 196.
134 Kriegleder:DieLiteraturder fünfziger Jahre inÖsterreich,S.41.
135 Englerth, Gausterer undKaukoreit: Österreichs Literaturzeitschriften 1945–1990 imÜber-
blick,S. 10.
136 KarlMüller: Die Bannung der Unordnung. Zur Kontinuität österreichischer Literatur seit
dendreißiger Jahren. In:Stadler (Hg.):KontinuitätundBruch,S. 181–215,hierS. 187.
137 McVeigh: Kontinuität und Vergangenheitsbewältigung in der österreichischen Literatur
nach1945,S. 197.
138 Müller: Die Bannung der Unordnung, S. 187. Cf. auch Karl Müller: Zur (Dis-)Kontinuität
österreichischerLiteratur seitden30er Jahren:KarlHeinrichWaggerl (1897–1973).EinErfolgs-
autorder 50er Jahre. In:WalterBuchebnerGesellschaft (Hg.): Literatur inÖsterreichvon1950
bis 1965,S.52–74.
139 Müller:DieBannungderUnordnung,S. 188.
140 Beer: ImmernochKafka… In:DieZeit, 13.08.1953.
6.3 LiteraturunterdemGalgen:Grenzsituationen 171
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur