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zurückblicken, enthüllt hingegen überwiegend Traumata undAnti-Idyllen. So
heißt es inMichaelGuttenbrunners„Schlachtfelder“:„DerWelt, dienochnicht
weiß,will iches sagen /wiedieSoldatensterben. Sie soll hören /dieStimmen
derGewehre, TagundNacht“141. GerhardFritschs Soldat „atmetedieWelt“ im
Gedicht „Paris /Mai 1943“ imglänzendenParis, dessen „Feind“142 er ist. Zwei-
einhalb Jahrespäter in„Wien/November1945“musserFragenbeantworten:
DieLeute fragenmich,woichdennwar.
Ichbindaheim.Dasandre istvorbei.
Ichwar imKriegundhabemitgemacht,
wiealleneben,vorundhintermir.
EinpaarMillionenwurdenumgebracht…
Undviel zuspät,meinFreund,erzähl ichdir.143
DenWegder ‚beschädigten‘HeldInnenschlägt 1951 schondasersteStimmender
Gegenwart-Gedicht ein: Bertrand Alfred Eggers „Unser Gesicht“ spricht vom
Krieg in den „Gesichtern von Millionen“, vom „zerschoss’nen Niemandsland“
undvon„Toten,dieverwesen“144.Mitder imFolgejahr inseinereigenenSamm-
lungMohnundGedächtniserscheinenden„Todesfuge“ ist auchPaulCelan–nur
wenigen bekannt als das „bedeutendste surrealistische Talent der jungenöster-
reichischenGeneration“145–Teil dieses erstenBandes. ImnächstenBandhalten
KriegundTodEinzug indieMetaphorik vonLandlyrikwieTraudeMariaSeidel-
manns„Mohn“:„WieverkohlteSparrenausdenFeuergarben/ rechensich, ent-
blättert, schwarzeNarben.“146AuchdieNaturerscheinungen inChristineBustas
„Nebliger Tag“wirken durch Begriffe wie „Todeshauch“, „trüber Rost“, „hoff-
nungslos“,„sturmzerfetzt“oder„grauemSchweißderÄngste“147kaumidyllisch.
141 Michael Guttenbrunner: Schlachtfelder. In: Stimmen der Gegenwart, 1953, S. 12–14, hier
S. 12.
142 GerhardFritsch:Paris /Mai 1943. In:StimmenderGegenwart, 1951,S.40.
143 GerhardFritsch:Wien/November1945. In:StimmenderGegenwart, 1951,S.49.
144 BertrandAlfredEgger:UnserGesicht. In:StimmenderGegenwart, 1951,S. 7.
145 Zlabinger: LiterarischeZeitschriften inÖsterreich 1945–1964,S. 83.Cf. Christine Ivanović:
Paul CelansUmwegüberdenWiener Surrealismus. In:GoßensundPatka (Hg.): „Displaced“:
Paul Celan inWien, 1947–1948. Frankfurt amMain 2001, S. 62–70. Celans Lyrik verfehlt An-
fang der fünfziger Jahre die österreichische LeserInnenschaft, die „wenig übrig für derartige
Verse“ hat (Dor: Auf dem falschen Dampfer, S. 210), ebenso wie die Avantgarde, so Rühm:
„wasallerdings, etwadurchpaul celan,als ‚postsurrealismus‘eben inmodekam, lehntenwir
als symbolistisch verpanschten aufguss ab–das schienuns auf eine neuemythisierunghin-
auszulaufen,undallesmythischewardurchdennationalsozialismusfürunsendgültigdiskre-
ditiert.“Rühm:dasphänomen„wienergruppe“,S. 19.
146 T.MariaSeidelmann:Mohn. In:StimmenderGegenwart, 1952,S.37.
147 ChristineBusta:NebligerTag. In:StimmenderGegenwart, 1951,S. 27.
172 6 StimmenderGegenwart:ExistentialistischeLiteratur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur