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vondesSchicksalsblinderGerechtigkeit,
vonderVergeltungderEwigkeit,
allesLügeundschlauerBetrug–
Niemandkanndichmehrbetören,
dochdasGlückwirddichmeiden
wiederTagdie lichtloseNacht.
DieSehnsuchtwirddichpeinigen
NachderanderenFrieden,
duaberwirst ruhlosbleiben,
weilduausderZerstörungdesKrieges
nichtheimfindenkannst.162
EinVergleich vonFritschsGedichtmitHansHumersKurzprosa „DerUngebor-
gene“ zeigt,wie sichderHoffnungslosigkeit einesMenschen,dernicht ankom-
menkann,gattungsübergreifendAusdruckverleihen lässt:
AlsGeorggeradeauf dieStraßegetretenwar, umsie zuüberqueren, kreischtenBremsen
unddasAutohieltmit einemRuckan.Wieunter einemunsichtbarenGriff sprangGeorg
auf den Gehsteig zurück. Vor seinen Augen tanzte die Straße in gleißender Helle. Er
fühlte seinHerz soheftig schlagen,daßÜbelkeit ihmdenHals zuschnürte. […] Er fühlte,
wiedieAngst in ihmhochkam,wie sieunbarmherzigan ihmzerrte.Nochniehatte erdie
Straße so fremdund so verhaßt empfunden. […] Die Zigarette, die er anzündete, zitterte
in seinerHand.Georg schämte sich. […]Hätte ernichtunterdiesesAutokommensollen?
Wäre das nicht eineMöglichkeit gewesen, endlich einmal aus diesem Leben zu treten,
dasmit seinen Alltäglichkeiten seine ganze Kraft lahmlegte?Was nützte es denn über-
hauptundwasnütztevorallemerdarin?163
Die historische Situation, die die jungen SchriftstellerInnen in Österreich wie in
Frankreich ineineVerlassenheitgeworfenhat,vonderaussiebiszumÄußersten,
bis zumAbsurden sehen können („dans ce délaissement d’où l’onpeut voir jus-
qu’auxextrêmes, jusqu’à l’absurde“164), lässt sie lautLillyvonSautervonderSen-
timentalität vorangegangenen Schreibens abweichen und „aus Protest gegen die
übertriebene Gefühlsduselei recht häufig einer wilden Grausamkeit“165 verfallen.
Sie erschaffen damit genau jene Literatur der extremen Situationen („littérature
des situations extrêmes“166), die den Existentialismus als literarische Strömung
kennzeichnet undderen ThemenundMotive nachKriegsende aufgrunddes kol-
162 Gerhard Fritsch: EinemSoldaten. In: Susanne Zobl: „…weil du aus der Zerstörung des
Krieges nicht heimfinden kannst“. Zu Leben und Werk von Gerhard Fritsch (28.03.1924–
22.03.1969). In:Der literarischeZaunkönig2004,Nr. 1,S.38–41,hierS.38.
163 HansHumer:DerUngeborgene. In:StimmenderGegenwart, 1954,S.7–17,hierS.7.
164 Sartre:Qu’est-ceque la littérature?,S. 222.
165 L.v.S.:PorträtunseresHelden,S.807.
166 Sartre:Qu’est-ceque la littérature?,S. 222.
6.3 LiteraturunterdemGalgen:Grenzsituationen 175
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur