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lektiven Erlebens dieser Epoche das Werk zahlreicher europäischer AutorInnen
durchziehen („les gens d’unemême époque et d’unemême collectivité, qui ont
vécu lesmêmes événements, qui se posent ou qui éludent lesmêmes questions,
ontunmêmegoûtdanslabouche“167).Wassieeint, istdirektaus ihremNot,Krieg
undFolterentwundenenLebengegriffen:
WasschreibenCamus,Malraux,Koestler,Roussetusw.andresalseineLiteraturextremer
Situationen? Ihre Geschöpfe sind entweder amGipfel derMacht oder in Verliesen, kurz
davor, zusterbenodergefoltert zuwerdenoderzutöten;Kriege,Staatsstreiche, revolutio-
näre Aktionen, Bombardements und Massaker, das ist ihr Alltag. Auf jeder Seite, auf
jederZeile istes immerderganzeMensch,der inFragesteht.168
Que font Camus,Malraux, Koestler, Rousset, etc., sinonune littérature de situations ex-
trêmes? Leurs créatures sont au sommet du pouvoir ou dans des cachots, à la veille de
mourir, oud’être torturés, oude tuer; guerres, coupsd’État, action révolutionnaire,bom-
bardements etmassacres, voilà pour le quotidien. A chaque page, à chaque ligne, c’est
toujours l’hommetoutentierquiestenquestion.169
Die geschilderten Szenen lassen sich als Grenzsituationen im Jaspersschen
Sinne verstehen, als „eineWand, an die wir stoßen, an der wir scheitern“170,
als Lebensversuche gegen eineMauer („contre unmur“171), so ähnlichCamus,
als Fluchtversuche gestoppt durch eine Mauer („arrêtées par un Mur“172), so
167 Sartre:Qu’est-ceque la littérature?,S. 76.
168 Sartre:Was istLiteratur?,S. 172.
169 Sartre: Qu’est-ce que la littérature?, S. 305. Die „tiefere und größere Bedeutung“ des
Grenzerlebens kommentiert HansWerner Richter: Der jungeMensch habe „an der äußersten
Grenze dermenschlichen Existenz gelebt, dort, wo das Pendel des Lebens nicht in derMitte
ruht, sondernwohin es ausschlägt,wenn es in fortwährender Bewegung ist, in derNähedes
Hasses, in der Nähe brausender Begeisterung, in der Nähe des Todes.“ Richter: Warum
schweigt die jungeGeneration? In:Neunzig (Hg.):DerRuf.UnabhängigeBlätter für die junge
Generation. Eine Auswahl; Vorwort vonHansWerner Richter. München 1976, S. 60–65, hier
S.61 [Zuerst in:DerRuf1 (1946),Nr. 2.]
170 Karl Jaspers: Philosophie, Bd. 2: Existenzerhellung. Berlin 1932, S. 203. Das in diesem
Werk ausführlich betrachtete Konzept der Grenzsituation findet als „unüberschreitbare Da-
seinsgrenze“ (Tod, Zufall, Leiden, Schuld), ander dieExistenz („eineWirklichkeit des Selbst-
seins“) erwachen kann, bereits 1913 Erwähnung in Jaspers’ Allgemeine Psychopathologie
(Berlin,Heidelberg91973,S. 11),anderenÜbersetzunginsFranzösischeSartre1927mitgearbei-
tet hat. Cf. hierzu auch JürgenLink:Denormalisierung als Grenzsituation. Oder über denAn-
teil desNormalismusamExistentialismus. In: FrankundLukas (Hg.), in Zusammenarbeitmit
Landshuter: Norm – Grenze –Abweichung. Kultursemiotische Studien zu Literatur, Medien
undWirtschaft. (MichaelTitzmannzum60.Geburtstag.)Passau2004,S. 265–282.
171 Albert Camus: Ni Victimes, ni bourreaux. In: Camus: Actuelles. Écrits politiques, Bd. 1:
Chroniques1944–1948.Paris 1950,S. 117–146,hierS. 117. [Zuerst in:Combat, 19.–30.11.1946.]
172 Jean-PaulSartre:Prièred’insérer. In:Sartre:Œuvres romanesques,S. 1807.
176 6 StimmenderGegenwart:ExistentialistischeLiteratur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur