Page - 190 - in Existentialismus in Österreich - Kultureller Transfer und literarische Resonanz
Image of the Page - 190 -
Text of the Page - 190 -
„überwiegendenMehrheit“226 einer die jüngere Vergangenheit verdrängenden
Vergessenskultur unerwünscht. Claudia Frank (alias Bobbie Löcker) spricht in
der unabhängigen Zeitschrift Plan ebenfalls von „der überwiegenden Mehr-
heit“, die „alles, was an vergangenen Kampf, an Angst, Elend, Schmerz, Leid
undVerzweiflunggemahnt, an ihre, anallerExistenzgerührthat“–undsei es
auf symbolischeWeise – , vergessenwill, weil „aus demHinschauen auf Un-
abänderlichesnur eineneueBelastungdes schonzurGenügeBedrücktenoder
des bisher relativ Unbeschwerten erwachse.“227 Dieser Argumentation folgen
Anfang der fünfziger auch einige junge SchriftstellerInnenwie Jeannie Ebner,
die der zum Nachdenken anregenden Verarbeitungsliteratur 1953 klar über-
drüssig ist:
Sowieman den heimgekehrten Soldaten immerwieder vomKrieg erzählen hört, findet
man inderLiteraturunsererZeit immerwiederdenKriegsromanunddieSchilderungdes
Grauens. Sofern sie ehrlich sind, haben sie hohen chronistischen, letztlich also histori-
schen Wert. Aber die immer wiederholte, reportagehafte Darstellung des Gräßlichen
machtdiesesnichtungeschehen, sieverleiht ihmvielmehrdeutlichereundstärkereExis-
tenz,und läßtesalsselbstverständlichenBestandteilunsererWeltordnungerscheinen.228
Therapien für die vonTraumataGeplagten zu liefern, sei dasGebiet vonFach-
leuten,meintEbner,nichtdasderKünstler.ThomasBernhardpflichtet ihrbei:
Der Großteil setzt sich mit der jüngsten Vergangenheit auseinander, ist von Krieg und
Bombardement,Mord, Flucht undHeimkehr durchsetzt. In sie habendieAutoren (nicht
immerdie ehrlichsten!) ihrenAngstzustandverlagert, undwennwirdarin lesen, soemp-
finden wir nicht Zu-, sondern Abneigung. Wir selbst haben oft noch mehr von diesen
‚Abenteuern‘erlebt, alsdaßwir indiesen ‚hoffnungslosenResultatendesschrecklichsten
Krieges‘aufgehenkönnten.229
226 EvaPriester:DieAufgabender österreichischenLiteratur. In:ÖsterreichischesTagebuch,
16.11.1946. Cf. dazu Fritsch: Literatur, S. 7: „Daß der Schwung dieser austriakischen Renais-
sancebald erlosch, lagnicht nur andenBesatzungsmächtenundan jenemnicht unwesentli-
chen Teil der österreichischen Bevölkerung, dessen Sentiment und Ressentiment zum
Nationalsozialismusgeführthatteoderdurch ihnbestimmtwordenwar. Selbstbesinnung,Be-
denkenund ‚Bewältigen‘derVergangenheitwurdenauchdurchSchematismusundopportu-
nistisch betonte Phraseologie in weiten Kreisen kalmiert und erstickt. Im Gegensatz zum
sogenanntenAltreich […] etablierte sichdasöffentlicheundprivateBewußtseinsoschnellwie
bequem im geistigen Gestern, in ladenhütenden Klischees, die sich im übrigen für den bald
ausbrechendenKaltenKrieg rechtverwendbarerweisensollten.“
227 ClaudiaFrank:Erinnernodervergessen. In:Plan1 (1945),Nr. 1,S. 133–134,hierS. 133.
228 Ebner:DerKünstlerunddieWelt,S. 146.
229 Bernhard:BücherwartenaufDich!,S.89.
190 6 StimmenderGegenwart:ExistentialistischeLiteratur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur