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nannten Klischees zu erfüllen scheint.“244 Das „Pandämonium verbrecherischer
Durchschnittlichkeit“245,dasLebertauffährt,nimmtFritschalsAusgangskonstella-
tion für seineneigenenRomanFasching (1967):Auchhier trifft eineverschworene
Dorfgemeinschaft auf einen Außenseiter, der sich weigert, den dringenden Rat
„vergebenundvergessen“,„vergessenundvergeben“246anzunehmen.
Auf einen von allen Seiten misstrauisch beäugten Einzelgänger konzent-
riert sich auch Thomas Bernhards Prosa Frost, die derWolfshaut-Atmosphäre
gleicht in ihrem „existenziellen Schrei“247, in der Animalität der dargestellten
Menschen, der „Unmenschlichkeit“ der Natur („das Knochengerüst des Wal-
des“, ein„ChaosausSchwärzeundSchlamm“,„grauundekelhaft“)und inder
Brutalität des Klimas („ein naßkalter, wühlender, würgender Luftstrom“, „ein
Frosthauch, ein eisiges Etwas“, „ein Unbehagen, ein ekelhaftes, frostiges Ge-
fühl“248). BevormitdemGenrederAnti-Heimatliteratur indensiebziger Jahren
eine „ansehnlicheListederNestbeschmutzer“entsteht, stellt sichBernhard ra-
dikal gegendie entlastendeNeuinszenierung vonHeimatmit ihren „Klischees
derunschuldigenNatur“249:
Kinder entdeckten inMulden hochexplosive Panzerfäuste, von denen sie zerrissenwur-
den. Fetzen von Kindern, wissen Sie, auf den Bäumen. Männer im besten Alter konnte
man vonKanonenrädern erdrückt finden […]. Und da unddort zerschosseneUniformen
aufdenBäumenundausdemTümpelherausschauendesteifeHändeundFüße.250
244 Gerhard Fritsch:Dahintreibend indenMeerendesHerbstes. ZurDichtungHans Leberts.
In:Wort inderZeit 7 (1961),Nr.3,S.9–12,hierS.9.
245 Fritsch:Dahintreibend indenMeerendesHerbstes, S. 12. Ein Jahr später, 1961, folgtmit
HelmutQualtingersundCarlMerz’DerHerrKarl„eineeinzigeAbrechnungmitderösterreichi-
schen Spielart der Vergangenheitsbewältigung“, einAngriff auch auf „denunpolitischenÖs-
terreicher, der durch Bauernschläue, Ideologieskepsis undKompromißbereitschaft politische
Übergriffe erfolgreichüberstand“. JuttaLanda:BürgerlichesSchocktheater. Entwicklungen im
österreichischen Drama der sechziger und siebziger Jahre. (Literatur in der Geschichte. Ge-
schichte in der Literatur 15.) Frankfurt amMain 1988, S. 37. Zur Behandlungdes Themas auf
derNachkriegsbühnecf. PeterRoessler: Studien zurAuseinandersetzungmitFaschismusund
Krieg imösterreichischenDramaderNachkriegszeitundder50er Jahre.Köln1987.
246 Gerhard Fritsch: Fasching.Mit einemNachwort vonRobertMenasse. Frankfurt amMain
1995,S. 148.
247 RonaldPohl:DerUntergangvonThomasBernhardsWelt. In:DerStandard, 12.02.2019.
248 Lebert:DieWolfshaut,S. 23,90,87,72,57,58,7.
249 Ingeborg Rabenstein-Michel: Bewältigungsinstrument Anti-Heimatliteratur. In: Germa-
nica 2008,Nr. 42, S. 1–11, hier S. 1, 2. https://journals.openedition.org/germanica/525 (einges.
09.01.2019).
250 ThomasBernhard:Frost.Hg.vonMartinHuberundWendelinSchmidt-Dengler. (Werke, 1.)
FrankfurtamMain2018[2003],S. 147.
194 6 StimmenderGegenwart:ExistentialistischeLiteratur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur